Stadtplanung entbehrte jeglicher politischen Dimension - so das Selbstverständnis im Kaiserreich. Aber: Kommunale Stadtplaner gaben vor, das Planungshandeln am "Allgemeinwohl" auszurichten, bei der Planung von Fluchtlinien zukünftige gesellschaftliche Entwicklungen und Handlungen aus gegenwärtigen räumlichen und sozialen Verhältnissen zu antizipieren, also agierten sie gesellschaftspolitisch. Hinzu kommt, daß das Fluchtlinien-Gesetz der planungsbetroffenen Wohnbevölkerung das Recht einräumte, auf die Gestaltung der jeweiligen Detailpläne Einfluß zu nehmen. Ganz allgemein heißt es nach Art.1 des Preußischen Fluchtlinien-Gesetzes (1875), daß Straßentrassierungen vom Gemeindevorstande im Einverständisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzusetzen sind.
Immerhin war den Gemeindeverwaltungen nach erfolgter Zustimmung durch die Aufsichtsbehörde die Offenlegung von Bebauungsplänen zu jedermanns Einsicht auferlegt worden. Innerhalb einer Frist von vier Wochen waren Einwendungen bei Magistrat oder Stadtverordneten-Versammlung schriftlich vorzubringen. Kam die Einigung zwischen Einwendern und Gemeindevertretung nicht zustande, mußte der Kreisausschuß zur Beschlußfassung eingeschaltet werden.
In planungsinhaltlicher Hinsicht gibt sich das Fluchtliniengesetz recht unverbindlich. jedenfalls sollte das Bedürfnis der näheren Zukunft Umfang und Zielsetzung der Planung bestimmen. Bei der Erstellung dieser Pläne sei auf die Förderung des Verkehrs und deshalb auf die genügende Breite der Straßen zu achten.
Adickes nahm diese Vorgaben beim Wort. Die vollständige Überarbeitung bzw. Neuerstellung von Bebauungsplänen stand mit seiner Amtsübernahme in Frankfurt a.M. an. Eine gemischte Kommission wurde deshalb geschaffen. Schon die Namensgebung dieses Fachausschusses war Programm: Revision der Bebauungspläne und Bauordnung. Seine Arbeit sollte dann aber die gemischte Alignements- und Bau-Kommission übernehmen.
In diesem Kapitel soll dargelegt werden, welche Bedeutung dem Planungselement "Straße" bei der funktionalen Gliederung von Stadträumen zukam. Hierbei wird deutlich werden, daß die Adickes-Administration nach gesamtstädtischen Planungskriterien vorging. Reale Planungseinheit war der Stadtteil, dessen räumliche und soziale Gegebenheiten maßgeblich waren für dessen Straßennetz, das ihm überzogen wurde. Am Beispiel des Ringstraßen-Projekts, das in Teilausführung in den 1890er Jahren im neu angelegten nordöstlichen Stadtteil auf dem Gelände der sog. Dicken Oede zur Ausführung kam, soll das Wilhelminische Selbstverständnis von Straßen- und Verkehrsplanung herausgearbeitet werden. Nach Sichtbeziehungen das Straßennetz zu gestalten, mußte in Widerspruch zu seiner funktionalen Bedeutung als Verkehrsraum treten. Doch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Erwartungen waren geweckt und den vielfältigsten Bedürfnis-Artikulationen der Rahmen geschaffen. Die Straße hatte nun wenigstens zwei Aufgaben zu erfüllen: sie war nicht länger nur Erlebnisraum, der dem Wohnbereich angeschlossen war, sondern wurde immer wichtiger als reiner Verkehrsraum. Welche Ambivalenzen hierbei auftraten, soll gegen Ende dieses Kapitels eine Antwort finden, bevor wir uns dann ausführlich einzelnen Stadtteilen in Kapitel 5 zuwenden.
Noch bevor es in der Stadtverordneten-Versammlung zur Kenntnisnahme der Staffelbauordnung im Juli 1891 kam, trug Adickes seine gesamtstädtischen Planungsziele für den Zeitraum von 25 Jahren vor: "Die Stadterweiterung müsse in einheitlichem Sinne und in der Auffassung geplant werden, daß Frankfurt bei normaler Fortentwicklung in 25 Jahren 400.000 Einwohner zählen könne, für die große Zahl der Bevölkerung müssen die Verkehrszüge bemessen, es muß für frische Luft gesorgt werden, bequeme schattige Straßen müssen um und in die Stadt führen, freie Plätze müssen angelegt, auch darf die Schönheit der Straßenbilder nicht vernachlässigt werden".
Wenn Stadtentwicklung planerisch beeinflußt werden sollte, dann über einen gesamtstädtischen "Grundplan", dessen Planungsgrundlage der Stadtteil war. Detailpläne wurden also nachrangig nach den übergeordneten Prämissen erarbeitet. Städtebaulich gewachsene Brennpunkte und Grenzlinien galt es zu berücksichtigen, wie z.B. den Hauptbahnhof (1888) und Westhafen (1886), die bereits Entwicklungskerne für die industrielle Nutzung darstellten. Planungsvorgaben bildeten auch die bereits vorhandenen Straßenzüge. Das räumliche Stadtwachstum hatte sich sternartig entlang der Ausfallstraßen Mainzer-, Eschersheimer-, Eckenheimer- und Friedberger-, Hanauer- und Darmstädter Landstraße in radialer Form vollzogen. Darüber hatten sich wie "Grenzlinien" die Schienenwege der Eisenbahn gelegt: Die Main-Weser-Bahn, die den Nordwesten Frankfurts durchschneidend im Hauptbahnhof mündete; die Hessische Ludwigsbahn und die Main-Neckar-Bahn, die von Südwesten her dort ebenfalls angebunden waren und die Frankfurt-Bebraer-Bahn, die sowohl den Hauptbahnhof als auch den Sachsenhausener Südbahnhof - damals noch nach seiner Linienführung Frankfurt-Bebraer-Bahnhof genannt - in umständlicher Trassenführung anfuhr. Der Hanauer Bahnhof, Frankfurts Ostbahnhof, nahm dagegen den Verkehr von Osten kommend auf, der ebenfalls mit großem Raumbedarf an den Hauptbahnhof weitergeführt wurde. Frankfurt war in seiner Stadtentwicklung nach drei Richtungen hin gehindert, so daß sein Stadtwachstum nur in nordwestlich-nördlich-nordöstlicher Richtung Platz greifen konnte. Noch unter Oberbürgermeister Miquel war versucht worden, sich über das Ausmaß der Bautätigeit ein genaues Bild zu machen. Planungsziel war: die bevorzugten Wohngebiete Frankfurts in ihrem Bestand zu sichern und gewerbliche Ansiedlungen dort auf rechtlichem Wege zu verhindern.
Dieser Planungsprämisse entsprechend legten Stadtbaurat Beutel und die gemischte Alignements- und Bau-Kommission Berichte vor. Neue Fluchtlinienpläne im Sinne von "Generalbaulinienplan" waren für die Stadtteile ausgearbeitet worden, die entweder durch das städtebauliche Wachstum in ihrer Wohnqualität gefährdet waren, - dies galt für den Nordwesten und Westen - oder wo die private Bautätigkeit dabei war, eine "Gunstlage" auszumachen - wie bereits im Nordosten der Stadt geschehen.
Praktisch das ganze außenstädtische Frankfurt im Ansschluß an die Innenstadt wurde planerisch mit einem Netz von Fluchtlinien-Plänen und groß geschnittenen Baublöcken überzogen. Als Kriterien der Erschließung galten Zweckmäßigkeit, Anforderungen des Verkehrs, der Gesundheit und der Schönheit. Die Adickes-Administration machte es sich zur Pflicht, den Stadtraum zu vermessen und ihn nach prozentual errechnetem Verteilerschlüssel den unterschiedlichen Nutzungen zuzuweisen. Städtebau sollte planerisch rational gegründet sein.
Die neuen Straßen hatten ihren Trassenverlauf nach dem Gesichtspunkt des vorgestellten Panoramablicks erhalten: So z.B. die Hauptstraßen des Westens und Nordwestens in der Linienführung Dom - Taunus. Die Stadt sollte also mit der Landschaft zu einer Einheit zusammengeführt werden und keinen Gegensatz bilden. Nun galt es noch, die Stadtteile von der westlichen bis zur östlichen Außenstadt verkehrstechnisch miteinander zu verbinden. Diese Aufgabe war breiten und schattigen Promenaden zugedacht, die den nordwestlich gelegenen Grüneburgpark mit seinem Pendant im Nordosten, dem Günthersburgpark, ringförmig zusammenbinden sollte. Die Promenaden entsprächen dem Bedürfnis des städtischen Bürgertums, das gerne spazieren gehe. "Im Allgemeinen werden sowohl die Anforderungen des Verkehrs als diejenigen der Gesundheitspflege und Schönheit zu berücksichtigen sein. Es werden danach breite Straßen und Plätze in genügender Zahl vorzusehen und die Projekte zugleich so zu gestalten sein, daß die neu sich bildenden aussenstädtischen Bezirke durch leistungsfähige, auch für Trambahnen geeignete Straßen mit der Innenstadt und durch eine großangelegte Ringstraße unter sich verbunden werden. Somit tunlich wird dabei zugleich darauf zu achten seln, daß hervorragende Bauwerke zur Geltung gelangen und schöne Aussichten, insbesondere nach dem Taunus nicht verbaut, sondern offen gehalten und mit den Anlagen selbst in anmutende Verbindung gebracht werden."
Die Trassenführung des östlichen Halbrings der Ringstraße wurde festgelegt. Ihr Verlauf begann am nördlichen Ende des Röderbergwegs über die Dicke Oede entlang des Friedhofs im Nordend mit weiterem Verlauf am Palmengarten, Mainzer Landstraße, Bahnstraße, Bahnhofsvorplatz, bis zur Wilhelmsbrücke, so daß ein konzentrischer Kreis parallel zur Innenstadt-Promenade entstünde.
Mit dem Planungsvollzug sollte im Nordosten umgehend begonnen werden, denn hier fanden sich gemeinsame Erschließungsinteressen von Stadtverwaltung und privater Terraingesellschaft. Noch 1889 hatte Oberbürgermeister Miquel die Zusammenarbeit mit der Frankfurter Terrain-Actien-Gesellschaft ( J. Gideon ) abgelehnt. Dieses Unternehmen hatte den Magistrat um Straßeneinteilung und gemeinsame Projektierung der sog. Dicken Oede, dem Gebiet zwischen Friedberger Landstraße und Günthersburgpark bzw. der späteren Burgstraße, nachgesucht. Das Gelände gehörte noch wenige Jahre zuvor dem Freiherrn Mayer Carl von Rothschild.
Das Tiefbauamt, von den Planungsabsichten der privaten Baugesellschaft informiert, hatte seinerzeit dem Magistrat nahegelegt, sich aufgrund mangelnden "öffentlichen Bedürfnisses" von diesem Projekt zu distanzieren. Die zwei Haupteigentümer an Grund und Boden dort - besagte Baugesellschaft und die Stadt - schätzten die zukünftige Entwicklung Frankfurts vollkommen unterschiedlich ein. Das Bauen auf dem Areal der Dicken Oede war zwar nicht unmöglich, weil ein Jahr zuvor ein entsprechender Fluchtlinienplan verabschiedet wurde, doch war das Planungsverständnis und -handeln des Magistrats unter Oberbürgermeister Miquel von der kleinschrittigen Erschließung nach Straßenzügen bestimmt gewesen. Die stadtteilbezogene Planung und darüber hinaus, das Stadtwachstum nach einheitlichen Gesichtspunkten anzulegen, lehnte Miquel ab. Entsprechend diesem Selbstverständnis teilte man der Baugesellschaft mit, daß es zum einen nicht dem Interesse der Stadt entspräche, ganze Stadtteile zu erschließen, zum anderen die "Aufschließung" des Nordostens zur Zeit nicht anstehe.
Adickes war da eben ganz anderer Ansicht: In der Bauaktivität der Terrain-Gesellschaft sah er den hinreichenden Grund, die Bebauungspläne schleunigst den wachsenden Ansprüchen der modernen Großstadt anzupassen, weil, wie er später sagte, für die Zukunft eine Abänderung des bestehenden Alignements unmöglich gemacht worden wäre. Im Gegensatz zur Empfehlung des Tiefbauamtes von 1889 heißt es nun 3 Jahre später: "Entsprechend der großen Ausdehnung welche die Stadt nimmt, erscheint es unerläßlich, für große neue, der Erholung und dem Spaziergang der Erwachsenen und Kinder dienende Promenaden Sorge zu tragen."
Ausgangspunkt für die Anlage des nordöstlichen Straßennetzes war die Verkehrsführung in radialer Ausrichtung mit Anbindung an die Innenstadt. Neu trassiert wurden deshalb die Straßenzüge: Rotlintstraße als Parallele zur Friedberger Landstraße, die Günthersburg-Allee, die Verlängerung der Luisenstraße, die alle von der projektierten Ring-Promenade, der Rothschild-Allee in Anbindung an Nibelungen-Allee im Norden und in Fortsetzung der Höhenstraße im Osten, geschnitten wird. Als Teilungsstraßen wurden drei weitere Straßenzüge bezeichnet: Vogelsberg-, Egenolffstraße- und Rohrbachstraße, weil sie in erster Linie als stadtteilbezogene Verkehrslinien gedacht waren. Sie kreuzten die Hauptverkehrsstraßen in west-östlicher Richtung. Als strahlenförmiger Verkehrsknotenpunkt war der Schnittpunkt der beiden Alleen angesehen worden. Die großzügigen Straßenanlagen waren durch Verzicht auf Vorgartenbebauung - mit Ausnahme der Alleen - ermöglicht worden. Die Ausweisung dieses Stadtteils als gemischtes Viertel, d.h. für kleingewerbliche Produktionsstätten neben dem Wohnen zulässig, kam einer Umwidmung der Flächennutzung gleich. Um den Wohncharakter zu gewährleisten, hatte der Magistrat die Baumbepflanzung zumindest auf einer Straßenseite vorgesehen. Bei Aufstellung des neuen Fluchtlinienplans hatte man sich an französische Planungsvorlieben angelehnt. Das Straßennetz des Fluchtlinienplanes von 1889 hatte sich noch stärker am kleinfächig, rombusförmigen Rechteck als Grundraster für die Gevierte orientiert, so daß noch mehr Straßen den Nordosten überzogen hätten als beim neuen Planentwurf. Tiefe Baublöcke zu schneiden, war Leitmaxime der neuen Planung und ermöglichte zusätzliche 24.800 qm Baufläche. Diese Planungskomponente kam, wenn auch in diesem Stadtteil nicht der Fall, so doch aber den Interessen der Grundstückseigentümer entgegen, was Bedenken im Hinblick auf Straßenbreiten nebensächlich erscheinen ließ. Allein diese zusätzlich ermöglichte Baufläche war dem Magistrat Legitimation genug, um die Bebauungspläne für den Nordosten neu festzulegen und der Stadtverordneten-Versammlung zur Verabschiedung vorzulegen.
Mit dem neuen Planungsvorschlag galt es dem Magistrat, den verkehrsinfrastrukturellen Gesichtspunkt mit dem ästhetischen zu verbinden. Auch hier wurden Straßenführungen auf Brennpunkte ausgerichtet und zwar nach dem Gesichtspunkt des Panoramablicks: die Rotlintstraße (24 Meter Breite) auf die St. Michael-Kirche, die Luisenstraße (24 Meter Breite; später M.-Luther-Straße) auf die Lutherkirche, die auch für die Vogelsbergstraße (18 in Breite) zum optischen Raumabschluß gedacht war. Der Straßenverlauf der Egenolffstraße war mit Blickrichtung Bornheimer Kirche (Bethanienkirche) trassiert, ebenfalls die Rohrbachstraße. Um die räumliche Weite von einem Ende der Rotlintstraße zum anderen Ende noch zu bestärken, hat man sie in der Mitte allmählich in konkav geschwunger Form verbreitert, so daß ein Mittelperron mit Grünbepflanzung möglich wurde.
Adickes hatte den Promenaden-Alleen vor dem Platz als gestaltendes Element von Freiflächen eindeutig den Vorzug gegeben. Plätze galten ihm als ungewünschte Konsequenz von Straßenkreuzungen wie z.B. an der Kreuzung Bornheimer und Friedberger Landstraße, wo eben die zusätzliche Anbindung von Rotlintstraße und Günthersburgallee eine weiträumigere Platzanlage erforderlich machten. Doch die Platzanlage in der Mitte der Günthersburgallee war allein aus ästhetischen Gründen geplant. Hier wollte man der 50 Meter breiten Allee das Geradlinig-Geometrische nehmen. Deshalb war ein Platz mit Grünbepflanzung von 130 Meter Länge und 75 Meter Breite geplant. Der Platz der am Kreuzungspunkt der beiden Alleen - Günthersburg- und Rothschild-Allee - zwangsweise entstand, war als Kinderspielplatz in Aussicht genommen. Die Ring-Promenade war generell auf 50 Meter Breite trassiert, mit jeweils 6 Meter Vorgartenfläche. In der Mitte verlief der Promenadenweg mit Grünbepflanzung mit einer Breite von gut 20 Metern, daran anschließend ein 5 Meter breiter Reitweg auf einer Seite der Fahrbahnbereiche; für Straßen- und Trambahnverkehr waren 20 Meter vorgesehen. Mit dem asymetrischen Straßenprofil unter Hervorhebung der Baumpflanzungen wollte man die Einförmigkeit und Gleichmäßigkeit des Straßenbildes vermeiden.
Die Günthersburg-Allee war auf 30 Meter bis Anbindung an die Rothschild-Allee geplant, danach 42 Meter bis zum Park. Auch hier war Vorgarten-Bebauung (jeweils 6 m) vorgesehen. Da Straßenbahn-Anschluß nicht vorgesehen war, genügte hier eine Fahrbahnbreite von 15 Meter. Mittlere Promenadenwege von 8 bzw. 20 Meter Breite sollten hier dem Bedürfnis nach Erholung und dem Spaziergang entgegenkommen.
Der heutige Einwand, die Wilhelminischen Kommunalpolitiker und deren Stadtplaner hätten keinen Unterschied gemacht zwischen Verkehrs- und Wohnstraße geht auf Th. Goecke zurück, ist aber, wie oben dargelegt, nicht ganz berechtigt. Wenn auch der Verkehrsinfrastruktur Priorität zugekommen ist, so ist die Abstufung der Straßen aber nicht unberücksichtigt geblieben, wenn man die Kategorie der sog. Teilungsstraße bedenkt.
Der Vollzug dieser Planung konnte deshalb vergleichsweise schnell durchgeführt werden, weil noch vor der Genehmigung durch die Stadtverordneten-Versammlung eine Vereinbarung zwischen Magistrat und Terrain-Actien-Gesellschaft zustande kam, in der die entschädigungslose Abtretung aller im Eigentum der Gesellschaft befindlichen Grundstücksteile festgelegt wurde, wenn sie in die trassierten Straßenräume fielen. Die Versorgung und Finanzierung ihrer Grundstücke mit technischer Infrastruktur hatte die Baugesellschaft selbst zu übernehmen.
Die gemischte Alignements- und Bau-Kommission empfahl den Stadtverordneten, den Fluchtlinienplan für die sog. Dicke Oede anzunehmen, obwohl der Bericht nicht verschweigt, daß finanzielle Bedenken bei den Kommissions-Verhandlungen erhoben wurden.
Ein Jahr danach, waren die Erdarbeiten in dem neuen Siedlungsgebiet bereits abgeschlossen, die Anlage eines der stattlichsten Straßenzüge der Stadt für das Etatjahr 1894/95 angesagt. Es sollten Jahre der Verhandlungen folgen, die über Zusammenlegungen zersplittertem Grundstückseigentums optimale Bauausnutzung und Bebauung ermöglichen sollten. Der endliche Planungsvollzug begann um die Jahrhundertwende.
Die eigentlichen Konflikte traten auf, als der Ausbau der Ring-Promenade in der nördlichen Außenstadt anstand. War im Nordosten ein vollkommen neuer Siedlungsbereich bei übersichtlichen Eigentumsverhältnissen an Grund und Boden zu erschließen, so hatte sich im Norden seit den 1880er Jahren die private Bautätigkeit enorm entwickelt - Kleinbetriebe und Wohnungen waren hier bereits in großer Anzahl vorhanden. 1893, als die den gesamtstädtischen Einheitsplan ergänzenden Bebauungspläne für die nördliche und östliche Außenstadt der Stadtverordneten-Versammlung vorgelegt wurden, erhoben sich die ersten Stimmen des Protests. Die privaten Grundstückseigentümer und Hausbesitzer glaubten sich durch die breiten Straßen-Trassierungen über die Maßen geschädigt. Das Fluchtliniengesetz hatte insofern die Grundstückseigentümer in die Verantwortung genommen, als diejenigen Grundstücksteile, die über die "Fluchtlinie" hinaus in den trassierten Straßenraum fielen, kostenlos abzutreten waren. Desweiteren mußten sie die Erschließungskosten selber tragen. Die Behörden gingen davon aus, daß die Straßen-Erschließung ohnehin die Grundrenten-Erwartung des anliegenden Grundstücks heben würde und daher diese Art der Sozialbindung von Privateigentum gerechtfertigt sei.
Hinzu kommt, daß Adickes neue städtebaulichen Planungsvorstellungen die Bodenspekulation um ein zusätzliches anfachte. Unter Zeitdruck wurden also die Bebauungspläne für das Nordend dem "einheitlichen Grundplan" angepaßt. Hauptanstoß der öffentlichen Kritik war die äußere Ring-Promenade, die auf 50 bis 60 Meter Breite trassiert war. Neben Fuß- und Reitweg waren Trambahngleise und der vierspurige Wagenverkehr vorgesehen, ein zusätzlicher Mittelperron von 20 Meter sollte bepflanzt werden.
In kürzester Zeit waren alle Stadtteile mit neuen Straßenplanungen versorgt worden, eine zu kurze Zeit, um auch den staatlichen Aufsichtsbehörden den Planungswandel nachvollziehbar mitteilen zu können. So war es kein Wunder, daß sich der Provinzialrat, die erste staatliche Kontrollinstanz, bei den ersten Einsprüchen auf die Seite der Einwender stellte. Ihm erschienen die Straßenplanungen für das Nordend über das unbedingt Notwendige hinausgegangen. Daraufhin sah sich der Magistrat aufgefordert, auf die Ringstraßen-Projekte anderer deutscher Großstädte wie Köln, München, Hamburg, Aachen und Mainz zu verweisen, um die eigenen Planungen in ein besseres Licht zu rücken. Die Einwender hatten insbesondere die spitzwinkligen Baublöcke an den Enden der Diagonalstraßen moniert, da dort keine günstige Bebauung möglich sei. Adickes jedoch legitimierte sein Planungshandeln durch Verweis auf neueste Erkenntnisse der ersten Stimmen in der Literatur des Städtebaues R. Baumeister und J. Stübben, um dann seine Planungsprämissen eher allgemeinverbindlich darzulegen.
Das Tiefbau-Amt hatte noch ein Jahr vor Adickes' Amtsübernahme in gleichem Sinne die Planungen vorgenommen, d.h. an den Kreuzungspunkten der Diagonalstraßen die Anlage von Plätzen vorgesehen.
Die Planung wurde gegenüber den staatlichen Behörden im Sinne einer gesamtstädtisch zu bewertenden "Stadterweiterung" gerechtfertigt. Nach erneuter Aufnahme des Verfahrens wegen dreier Einwendungen, konnte sich der Provinzialrat nicht länger der Argumentation des Frankfurter Magistrats verschließen und räumte die letzten Hürden des Planungsvollzugs aus dem Weg.
Die Ring-Promenade, d.h. der Abschnitt Nibelungen-Allee, wurde wie geplant ausgeführt, gleichzeitig die zwei Diagonalstraßen (Falkensteiner Straße und Klettenberg-/Schloßstraße) auf dem sog. Knoblauchfeld, die mit 24m Breite den Verkehr von und nach Eschersheim bzw. Bornheim und Eckenheim nach dem Prinzip der Verkehrsdezentralisierung (Verkehrsentlastung) aufzunehmen hatten. Nachbarstraßen wurden mit 14 Meter Breite trassiert. Die Bauordnung von 1891 präjudizierte den Wohnungsbau in geschlossener Bauweise.
Die aktive Infrastrukturpolitik des Frankfurter Magistrats schuf Sachzwänge in Folge: Die Erschließung der sog. Dicken Oede machte es erforderlich, eine diagonale Verbindung zwischen Friedberger Landstraße und Eschenheimer Anlage zu schaffen, deren städtebauliche Funktion es sein sollte, den Verkehr von und nach Eschersheim auf der Eschersheimer Landstraße zu entlasten, als auch den gesamten Nordosten, insbesondere die Promenaden-Anlagen (Günthersburg-Allee und Ring-Promenade) an die Innenstadt anzubinden. Die Straße des Scheffelgarten, später Scheffelstraße genannt, wurde in geschwungener Form und in Straßenbreite mit je 4,50 in Vorgarten trassiert. Die Vorgartenbepflanzung sollte nach Adickes der "Annehmlichkeit der Passanten dienen". Im März 1894 initiierte der spätere Stadtverordnete Hettler, Grundstückseigentümer und Vertreter des reaktionären Flügels, eine Protestversammlung, wo die allgemeine Ablehnung gegenüber Adickes' Städtebaupolitik zum Ausdruck gebracht wurde. Finanzielle Bedenken standen hierbei im Vordergrund, die auch in der Stadtverordneten-Versammlung vorgetragen wurden. Hettler hatte allerdings die reale Situation verkannt. Die trassierte Scheffelstraße, die er als Rießenstraße abqualifizierte, weil sie dem privaten Grundstücks- und Hauseigentümer-Interesse entgegenstünde, entpuppte sich als lohnendes Objekt der Spekulation. Die Öffentlichkeitsarbeit hatte seine Wirkung gezeitigt. Die Verhandlungen bzw. Enteignungsverfahren zogen sich über zehn Jahre hin, was den Grundstückseigentümern zum Vorteil geriet, denn mit der Zeit stiegen die Grundstückspreise. 1903 mußte Stadtrat Kölle den Stadtverordneten mitteilen, daß mit Rücksicht auf die gespannte Lage des Etats von der Asphaltierung dieser Straße Abstand genommen und stattdessen die Pflasterung veranlaßt worden sei.
Wilhelminische Stadtentwicklungspolitik, das zeigt allein dieser Vorfall, verlangte dem Magistrat, auch weil die kommunalen Planungsinstrumente noch nicht die wirkungsvolle Intervention ermöglichten, enormes strategisches Verhandlungsgeschick ab. Zu frühe Publizität von städtebaulich relevanten Planungsprojekten konnten unerwünschte finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen. Mit der Funktionalisierung städtischer Räume durch die Staffel-Bauordnung war die Ausdifferenzierung der Grundrenten-Erwartungen impliziert, die sich mit jeder Planungsänderung wandelten.
Die Stadtverordneten waren nun gefordert, das bereits genehmigte Ring-Projekt in seiner Fortsetzung gutzuheißen. Der Berichterstatter der Kommission, der Nationalliberale Welb trug die Planungsgrundsätze vor, die eigentlich gegenüber den Bebauungsplänen des Westends und der Dicken Oede nichts Neues erbrachten. Sein Vortrag zielte darauf ab, die breite Zustimmung der Stadtverordneten-Versammlung zu erlangen. Deshalb sollte hier das Ringstraßen-Projekt als nebensächliches Planungsereignis abgehandelt werden, dagegen das Interesse der Grundstücks- und Hauseigentümer über das Planungsangebot der großen Baublöcke geweckt und so die Zustimmung der Vorlage erreicht werden. Neben Harnier trug lediglich der Brauereibesitzer Henrich seine Bedenken offen vor. Beide kritisierten die Planungen als zu großzügig, doch dieser erhob noch den Vorwurf, daß diese Straßenbreiten lediglich Luxusbauten aber kaum den Bau von Arbeiterwohnungen zulasse. Diese Bedenken eines arbeitgebenden Stadtverordneten teilten die übrigen Stadtverordneten keineswegs. Was als großer Vorteil der Adickes'schen Planungspolitik angesehen wurde, war deren Kontinuität im gesamtstädtisch-einheitlichen Verständnis, so daß der fortschrittsliberale Stadtverordnete und Kommissionsmitglied Dr. Geiger die Vorzüge der Adickes'schen Stadtentwicklungspolitik nur rühmen konnte.
Die eigentliche Debatte war mit Geigers Plädoyer auf Adickes' Planungspolitik schnell als beendet angesehen worden. Es ist heute fast ein Topos, festzustellen, daß Planungen, die einmal eingeleitet und zur Entfaltung gekommen, eine Eigendynamik entwickeln und so immer weiteren Planungsbedarf schaffen. Jedenfalls, nachdem bis 1894 großzügige Straßen-Projekte im Bereich der Dicken Oede realisiert wurden, traten Verkehrsstockungen in der Friedberger Landstraße auf, die bisher den gesamten Verkehr aus dem Nordosten nach der Innenstadt aufnahm, war nun durch die Verkehrsanbindung der Dicken Oede noch zusätzlich belastet und avancierte allmählich zur verkehrsreichsten Landstraße Frankfurts. Durch Projektierung von Entlastungsstraßen glaubten nun Frankfurts Verkehrsplaner der gemischten Kommission, das überdurchschnittliche Verkehrsaufkommen bewältigen zu können, und suchten die Stadtverordneten um Zustimmung über den Bebauungsplan des Bauareals Scheffelgarten nach. Es handelte sich hierbei um das Areal zwischen Eckenheimer Landstraße, Eiserner Hand, Friedberger Landstraße und der Eschersheimer Anlage.
In der Planung einer Diagonalstraße, die den Baublock Scheffelgarten durchschneiden sollte, sah man das Allheilmittel. Die Unterscheidung von Verkehrsstraße und Wohnstraße war hierbei nebensächlich. Leitbild war ein Straßennetz, geprägt von künstlerischen Varianten an Verkehrsknotenpunkten durch unterschiedliche Verlaufsformen, z.B. spitzem oder abgeschrägtem Winkel oder durch die Formung von dreieckigen Baublöcken bei diagonalem Straßennetz. Bedenken von einzelnen Stadtverordneten, diese Planung könne den Finanzhaushalt über Gebühr belasten, wurden von Adickes als unbegründet zurückgewiesen. Er ging sogar noch weiter, indem er die Stadtverordneten wissen lies, daß eventuell eine Trambahn oder elektrische Bahn von und nach dem Günthersburgpark auf(zu)nehmen sei. Deshalb genüge auch nicht die Straßenbreite von 13 Metern. Er empfehle Annahme des Magistrats-Antrags, bevor private Grundstückseigentümer in diesem Areal auf ihre Weise für klare Verhältnisse sorgen würden. Dann aber könne man davon ausgehen, daß Entwicklungen einträten, die dem allgemeien Interesse entgegenstünden.
Das dieser Argumentation zugrundeliegende Planungsdenken war in zeitgenössischen Fachkreisen sehr umstritten. R. Eberstadt war der Hauptkritiker dieser raumfordernden Straßenprojekte, weil er in ihnen den Verursacher von weitreichenden, strukturverändernden Folgewirkungen glaubte ausgemacht zu haben. Dem Kultus der Straße sei so Vorrang im Städtebau eingeräumt. Es sei eine Illusion zu glauben, die Entwicklung des Verkehrs, aber auch die des Stadtwachstums, könne mithilfe des Straßenbaus planerisch gelenkt werden. Er stellte diesen Ansatz apodiktisch in Frage: "Mit ihrem Entlastungsprinzip steht die Stadtbehörde diesem Problem hilflos gegenüber. Die Anlage teurer, wirkungsloser Parallelstraßen bedeutet nichts als das Abschieben der Verpflichtungen auf eine spätere, ungünstigere Zeit und einen doppelten Verlust für Gegenwart und Zukunft". Eines war offensichlich, Investitionen an einem Punkt des Stadtraumes bedeutete, die nächste ins Auge zu fassen.
Frankfurts Stadtwachstum verlief in radialer Form entlang der Ausfallstraßen, die meist auch Stadtteilgrenzen darstellten. So bildete die Bockenheimer Landstraße die Stadtteilgrenze des Nordwestens als auch des Westen. Die Eschersheimer Landstraße war "Grenze" zwischen Nordwest und Nordend, wohingegen die Eckenheimer Landstraße mitten durch den Norden führte, der seinerseits vom Nordosten durch die Friedberger Landstraße begrenzt wurde. Hinzu kamen dann noch die beiden Ausfallstraßen im Südwesten (Mainzer Landstraße) und Osten (Hanauer Landstraße), die praktisch die verkehrstechnische Anbindung der entstehenden Industriegebiete gewährleisteten. Nach dem innerstädtischen Straßenring, entlang der geschleiften Wallanlagen, wurde unter Miquel über das radial verlaufende Hauptverkehrsstraßen-Netz ein zweiter Ring gezogen, der, wenn auch unvollendet, den folgenden Trassenverlauf - nach heutigen Straßennamen - markiert: Habsburger Allee, unterbrochen durch Höhenstraße, Rothschild-, Nibelungen-, Adickes-, Miquel- und Zeppelin-Allee, Senckenberg-Anlage, Friedrich-Ebert-Anlage, Bahnhofsvorplatz, Basler Straße, Friedensbrücke und Anbindung Sachsenhausens.
Die Pferdebahnen, Vorläufer von Tram- bzw. Straßenbahnen, konnten diesem radialen Straßennetz kaum folgen. Zum einen, weil ihnen die Straßenbreiten häufig keinen Platz gelassen hatten; weiträumige Straßenfreilegungen wären nötig gewesen, um hier schnelle Verkehrswege erzielen zu können. Zum anderen war in den 1870er Jahren überhaupt noch kein Bewußtsein für großstädtischen Verkehr vorhanden. Die Pferdebahn war zunächst ein Verkehrsmittel des Stadtbürgertums. Deshalb fuhren auch die ersten Pferdebahnen zwischen Zeil und Bockenheimer Warte, die dann später bis zum Schönhof verlängert wurde. Dann folgte zügig der Ausbau der Strecke Lokalbahnhof (Sachsenhausen) über die Zeil bis zum Hanauer Bahnhof (Ostbahnhof) und eine Abzweigung nach den "Westbahnhöfen", wie man diese vor der Eröffnung des Hauptbahnhofs nannte. 1881/82 wurde die Süd-Nord-Achse mit dem Streckenverlauf Lokalbahnhof (Sachsenhausen)-Obermainbrücke - Konstabler Wache - Eckenheimer Landstraße/Hermannstraße hergestellt, zwei Jahre später war der Opernplatz mit dem Zentrum und Sachsenhausen über die Streckenführung: Neue Mainzer Straße - Untermainbrücke - Schaumainkai - Schul- und Wallstraße - Lokalbahnhof verbunden, und Bornheim hatte Verkehrsanschluß über den Sandweg zum Allerheiligentor.
Miquels Infrastrukturpolitik zielte darauf ab, die Linienführungen radial nach dem Mittelpunkte der Stadt zu lenken. Der Zeil komme diese Aufgabe provisorisch zu, da sie die beiden Verkehrsknotenpunkte Hauptwache/Schillerplatz und Zeil/Fahrgasse zusammenbinde, die ihrerseits die radialen Linien in sich aufnähmen.
Im Zeitraum von 20 Jahren (1872-92) wurden nur wenige neue Linien eröffnet, die Bockenheimer Landstraße war mit drei Linien allerdings gut bedacht - noch blieb dem Einwohner die Straßenbahn als Verkehrsmittel vorenthalten. Sicher, es gilt hierbei auch zu berücksichtigen, daß Haus- und Grundstückseigentümer nötige Freilegungen durch zu hohe Entschädigungsforderungen oder schlichtweg über die Weigerung, mit einem Eigentumstausch vorlieb zu nehmen, entsprechende Straßenbau-Maßnahmen vereitelten.
Doch zeigt allein die Auflistung der jeweils neu eröffneten Linien, daß nach 1890 ein Wandel eintrat. Dies war aber keineswegs nur auf entsprechende Maßnahmen der Adickes-Administration zurückzuführen; vielmehr hat der preußische Staat hier den Bewußtseinswandel mit begünstigt, indem er 1892 ein sog. Kleinbahn-Gesetz verabschiedete, das den Gemeinden die entsprechenden Planungskompetenzen übertrug. Die Elektrifizierung der Straßenbahnen bzw. Pferdebahnen erfolgte im Zuge der Kommunalisierung 1899. Noch 1890 war der öffentliche Verkehr auf einer Gleislänge von 28,4 km und gut 10 Millionen beförderten Personen ausschließlich vom Pferdebetrieb bestimmt worden. 1900 war das Verkehrsnetz der städtischen Straßenbahnen auf 37 km und gut 41 Millionen Beförderten angewachsen, 1910 sollten es dann 69,6km bei über 93 Millionen Fahrgästen sein.
Mit der Urbanisierung waren immer mehr Einwohner auf die Straßenbahn angewiesen. Die Stadtteilbewohner konnten nicht schnell genug ihren Straßenbahnanschluß bekommen. Mit jeder neu eröffneten Bahn in einem anderem Stadtteil vermuteten sie die Vernachlässigung und Mißachtung ihres eigenen. Bezirksvereine sahen sich herausgefordert, für ihren Stadtteil aktiv zu werden. Häufig wurde der Vorwurf erhoben, der Nordwesten würde mit Straßenbahn-Anschlüssen begünstigt; nicht immer konnte Adickes in der Rechtfertigung seiner Planungspolitik die lokale öffentlichkeit überzeugen. Der Mangel an Straßenbahn-Verbindungen wurde von allen Bevölkerungskreisen als Nachteil artikuliert und gewertet.
Unter Miquel war der Ausbau des Straßenbahn-Netzes im vorbereitenden Stadium steckengeblieben. Seine Planungsunterlagen machen deutlich, daß er Frankfurts Stadtentwicklung unterschätzt hat. So hatte die gem. Trambahn-Kommission in seinem Bericht vom 13.4.1888 die Einwohnerzahl Frankfurts auf 300.000 (1913) veranschlagt; Eingemeindungen waren demnach überhaupt nicht in das Blickfeld gerückt. Adickes' Planzahlen gingen 10 Jahre später (1898) von 364.000 Einwohnern (1910) aus, was dem tatsächlichem Entwicklungsverlauf entsprechen sollte.
Die Versorgung der Stadtteile mit Straßenbahn-Anschlüssen steht im engen Zusammenhang mit dem Ausbau des Straßennetzes. In der Anfangseuphorie des geplanten Stadtwachstums war es keine Seltenheit, daß Privateigentümer ihre Bereitschaft des freiwilligen Abtretens von Grundstücksteilen zugunsten von Straßenverbreiterungen bekundeten. Das Bedürfnis nach Verkehrsanbindung bzw. Erschließung durch Straßenbau war so allgemein und existenziell, daß Interessenvertreter der Industrie wie überhaupt des produzierenden Gewerbes und des Handels offiziell gegenüber dem Magistrat kaum in Erscheinung treten mußten. Doch nun galt es auch, in langfristigen Planungsdimensionen zu denken. Noch zur Zeit von Oberbürgermeister Miquel war es Planungsziel, der gewerblichen Nutzung von Vorgärten entgegenzutreten. Damit sollten gleichzeitig Straßenfreilegungen begünstigt werden. Denn bei gewerblicher Nutzung von Vorgärten mußte davon ausgegangen werden, daß mit der freiwilligen Abtretung nicht unbedingt zu rechnen, das Enteignungsverfahren dann aber langwierig und kostspielig zugleich war. Dem stand der allgemeine Wunsch nach Rationalisierung von Stadtwachstum und -entwicklung entgegen. Von reinen Ziergärten als Vorgarten-Nutzung, so konnte erwartet werden, war schneller und billiger eine Abtretung zugunsten des Straßenbaus zu bewirken. So erließ der Magistrat ein Ortsstatut (vom 1.10.1890), das die Nutzung der Vorgärten als Ziergärten bestimmte. Der Magistrat hatte insbesondere an die Vorgärten der Ausfallstraßen gedacht. Gewerbliche und gartenwirtschaftliche Nutzung war weit verbreitet. Schank-Konzessionen wurden nunmehr nur bis auf Widerruf erteilt. In mehreren Fällen hatte das Tiefbauamt die Nachfrager nach Konzessionen gedrängt, Grundstücksteile vor Planungsvollzug von Straßenverbreiterungen freiwillig abzutreten.
Das Bestreben des Magistrats, die gartenwirtschaftliche Nutzung an den Ausfallstraßen rechtswirksam zu torpedieren, wurde von der Öffentlichkeit als ein Eingriff in ihre Lebensgewohnheiten gewertet. In vielen Einwendungen und Rechtsklagen kommt dies zum Ausdruck. Stadtplanung sollte sich tatsächlich dort als ein schwieriges Unterfangen erweisen, wo die gewerbliche Vorgarten-Nutzung vor 1884 genehmigt worden war.
Mit dem Ortsstatut gab der Magistrat an, die außenstädtischen Wohnbezirke in ihrem vornehmen villenartigen Charakter zu schützen. Dies in Frage stellend, organisierte die Gesellschaft der Frankfurter Gastwirte und Restaurateure eine Petition, in der auf die widersprüchliche Argumentation des Magistrats verwiesen wurde. Da in den Villenvierteln keine Gaststättennutzung der Vorgärten anzutreffen sei, zweifelte man die Legitimation der Verfügung an und bat um Rücknahme des Verbots. In der damals üblichen Sprachführung begründete der Magistrat sein Handeln: In modernen Städten mit ihren stark entwickelten Industrie- und Verkehrsleben ist es im Interesse der "öffentlichen Gesundheit" dringend geboten, den Licht- und Luftraum in den Straßen durch Anlage von Vorgärten möglichst zu erweitern und zugleich dem Erholungsbedürfnis der Bewohnerschaft Quartiere zu schaffen, in denen dieselbe außerhalb des Kreises des Verkehrsbebaus, ruhig und ländlich wohnen kann. Denn durch die Vorgärten wird nicht nur auf das zugehörige Haus durch Abstand von dem Lärm und dem Staub der Straße ein der Gesundheit der Bewohner wohltätiger Einfluß geübt, sondern auch für eine ganze Straße, einen ganzen Stadtteil, gesündere Verhältnisse geschaffen, da die Rauch- und Dunsterzeugnisse der Straße hierdurch einen freieren Abzug erhalten ... Durch die Willkür der Eigentümer würden die Vorgärten zu Stätten der Unruhe... Es kommt hinzu, daß auch das "Interesse des Straßenverkehrs" nicht minder wie das der "Feuersicheheit" durch die aus dem Gewerbebetrieb in Vorgärten sich entwickelnden Unzuträglichkeiten verletzt werden kann.
Die Tendenz der Verrechtlichung und bürokratischen Anwendung von Bestimmungen ist unverkennbar, denn die Argumentation der Petenten, daß Garten-Gaststätten auch dem Erholungsbedürfnis dienten, fand kein Gehör. Für die Eckenheimer Landstraße wurde die Verfügung dann Jahre später zurückgenommen. Da zwischen der Verabschiedung von Detail-Bebauungsplänen und ihrem tatsächlichen Vollzug oft Jahre verstrichen, ging der Magistrat dazu über, Konzessionen auf Widerruf zu erteilen. Vorgärten waren auf diese Weise als Planungsvariable in die Verfügungsmasse des Straßenbaus einbezogen, was sich in der revidierten Bauordnung für die Außenstadt (8.4.1910) planungstechnisch manifestierte. Denn diese definierte nun Straßenraum unter Einbeziehung von zwei Drittel der Vorgartenfläche. Da die Stockwerkshöhe als funktionale Variable der Straßenbreite angesehen wurde, war die Bauausnutzung (Geschoßflächenzahl) nun erhöht worden. Verkehrswachstum war zwar einerseits Folge des strukturellen Wandels durch den zunehmenden Industrialisierungsprozeß, aber andererseits auch zusätzlich induziert durch die vom Magistrat angelegte Stadtentwicklungspolitik. Sachzwänge wie Straßenfreilegungen an Hauptverkehrsstraßen bestimmten den sozialen Wandel und gereichten trotz der permanent vorgetragenen und rhetorisch fingierten Klagen wohl kaum zum Nachteil für Haus- und Grundstückseigentümer. Von ausschlaggebender Bedeutung waren meist ökonomische Interessen. So konnte z.B. die Freilegung von Eckenheimer und Eschersheimer Landstraße erst zwischen 1900 und 1904 vollzogen werden.
Die Probleme waren vielfältig. Gab es einerseits diejenigen, die sich jeglicher Stadtentwicklung verschlossen, so waren andererseits auch die anzutreffen, die glaubten, sich an Bauvorgaben nicht halten zu müssen. Bereits 1876 war es notwendig geworden, dem wilden Bauen durch die Verordnung "Das Verbot der Errichtung von Wohngebäuden an für den öffentlichen Verkehr und dem Anbau noch nicht fertiggestellten Straßen betr. " entgegengetreten. An Industrieansiedlungen hatte man zu dieser Zeit noch nicht gedacht. Dies geschah dann 1892, als ein neues Ortsstatut erlassen wurde. Tatsächlich waren im Fall der gebauten Unordnung die Baubestimmungen der Bauordnung wirkungsvoller anzuwenden. Der Fluchtlinienplan, unabhängig von der Bauordnung, war nicht in jedem Fall als ein städtebauliches Interventionsmittel anzusehen, insbesondere deshalb nicht, weil der preußische Staat den Städten und Gemeinden das flächendeckende Enteignungsrecht nicht gewähren wollte.
Auch in der Frage der Mitfinanzierung von Straßenbau-Maßnahmen durch die Hauseigentümer war ein erster Schritt 1876 gemacht worden. jedoch erst mit dem Amtsantritt von Oberbürgermeister Adickes, 1891, wurde die Verordnung insoweit maßgeblich verändert, als nun Unterhaltskosten erhoben wurden. Die Kommune war zwar Eigentümerin der Straßen, doch blieb der Aufsichtsbehörde, dem Polizeipräsidium, über die Straßenpolizei die Möglichkeit der Intervention.
Wie waren Frankfurts Straßen beschaffen? Der Anteil der chaussierten Straßen gegenüber gepflasterten betrug bei Amtsübernahme von Oberbürgermeister Adickes 60%, 1915 dagegen lag er bei 30%. Das Asphaltieren der Straßen wurde ab 1899 verstärkt vorgenommen, so daß sich die Bewohner wenige Jahre später nur noch ungern mit Steinpflaster abgeben wollten. Klagen über Staub und Schmutz auf chaussierten Straßen nahmen zu, doch auch mit den gepflasterten Straßen glaubte man noch nicht, die beste Lösung gefunden zu haben. Geräuschloses Pflaster, gemeint war die Pflasterung mit Holz, wurde als zu teuer und wegen schneller Abnutzung als Alternative verworfen. Im großen und ganzen hatte der Magistrat die verkehrswichtigsten Straßen der Innenstadt mit Asphalt versorgt, ebenfalls das Straßennetz im Westen und Nordwesten. Die Hauptstraßen Sachsenhausens und Bornheims waren dagegen mit Steinpflaster versehen. Der sozialdemokratische Stadtverordnete Quark äußerte sich nach Bericht der Kleinen Presse über die Straßenverhältnisse zur Jahrhundertwende: "Man überschüttet förmlich die Stadt in der letzten Zeit mit Asphalt, auch an wenig geeigneten Orten, wie in den Anlagen, die dadurch viel von ihrem parkartigen Charakter einbüßen. Ferner ist nicht einzusehen, warum die in der teuren Hochkonjunktur abschlossenen Verträge besonders vorteilhaft sein sollen, während jetzt gewiß günstigere Bedingungen zu erlangen wären. Endlich berührt es unangenehm, daß auch hier das Westend bevorzugt ist, während das Ostend und das Nordend nur mit wenigen, der Nordosten und Bornheim mit gar keinen zu asphaltierenden Straßen bedacht werden. Gegen die Belastung der Anwohner hat Redner nichts einzuwenden. Man sei solche Proteste von Seiten der Hausbesitzer gewöhnt, sobald sie zu Beiträgen herangezogen werden."
Die Vereinigung der Droschkenbesitzer räumte in einer Petition an die Stadtverordneten-Versammlung zwar ein, daß der Asphalt enorme Vorteile gegenüber anderen Straßenbelägen aufweise, sah aber bei Straßennässe die Gefahr des Rutschens der Pferde gegeben und bat darum, Asphaltstraßen peinlich sauber zu halten und ausreichend und in kürzeren Zwischenräumen mit grobem Kies zu bewerfen. Der Magistrat legte daraufhin dar, daß die Asphaltstraßen sechsmal wöchentlich nachts abgewaschen würden, zusätzlich stünden tagsüber in allen Asphaltstraßen Frankfurts Straßenwärter zur Verfügung. Der Pferdemist würde sofort entfernt und die Straßen mit Sand bestreut werden. Bei Niederschlägen würde die ganze Straße mit Sand beworfen.
Mit dem wirtschaftlichen Fortschritt und zunehmender Urbanisierung stiegen die Ansprüche in der Wohnbevölkerung. Das Bedürfnis nach geräuschlosem Pflaster wurde immer häufiger angemeldet. So richteten z.B. 39 Bewohner der Adalbertstraße folgende Petition (1906) an den Magistrat: "Nach einer dieser Tage erhaltenen Mitteilung soll die Adalbertstraße im Laufe des nächsten Monats neu hergestellt bzw. die Fahrbahn mit Granitpflaster versehen werden. Nachstehend verzeichnete Anlieger erwähnter Straße, bitten nun einen verehrt. Magistrat von dem bereits vorgesehenen Material Abstand zu nehmen und an dessen Stelle Stampf-Asphalt zur Ausführung bringen zu lassen. Es dürfte einem verehrt. Magistrat nicht unbekannt sein, daß auf dieser Straße ein ganz besonders lebhafter Fahrverkehr herrscht, der, in Rücksicht auf die verhältnismäßig geringe Breite der Straße bei Granitpflaster ein derartiges Geräusch hervorrufen müßte, daß es fast zur Unerträglichkeit wird, in der Straße zu wohnen, bzw. die Wohnungen zu vermieten. Auch als Fortsetzung des Straßenzuges der Bockenheimer Landstraße dürfte es als in einer der schönsten und frequentiertesten Straßen des Stadtteils Bockenheims nicht von der Hand zu weisen sein, einmal in unserem Bockenheim mit Asphaltpflaster den Anfang zu machen und zeichnen wir, in der Erwartung unsere Bitte erfüllt zu sehen."
Der Magistrat teilte daraufhin den Petenten unverblümt mit, daß ihre Vorschläge der sachgemäßen Kenntnis entbehrten. Doch unabhängig von der Frage, ob nun diese in der Petition zum Ausdruck gebrachte Ansicht allgemeine Berechtigung zukommt oder nicht, ist eines erkennbar: Das städtische Bürgertum ist an der öffentlichen Entscheidungsfindung in Fragen der Stadtplanung und -gestaltung interessiert und will in seinem Informations- und Kommunikationsbedürfnis ernstgenommen werden.
Adickes' Planungsziele, die er in der Dreiheit Verkehr, Gesundheit und Schönheit zusammenfaßte, waren darauf ausgerichtet, Frankfurt in absehbarer Zeit in eine Großstadt der Moderne zu verwandeln. Die städtebaulichen Instrumente und die Vorteile der funktionalen Aufteilung der Stadtteile zu nutzen, bedurfte eben eines Bindegliedes - der aktiven Infrastrukturpolitik. Sie ist nicht nur als Antwort auf den durch Industrialisierung und Bevölkerungswachstum eingeleiteten sozialen Wandel Frankfurts aufzufassen, vielmehr war sie wesentlicher Bestandteil eines nach rationalen Gesichtspunkten erstellten gesamtstädtischen Planungskonzeptes. Daß die Adickes-Administration hierbei mit starkem Widerstand der unterschiedlichsten Interessengruppen zu rechnen hatte, kann schon deshalb nicht überraschen, weil sie in ihrer Modernisierungspolltik das zunehmende Informations- und Kommunikationsbedürfnis der Wohnbevölkerung glaubte vernachlässigen zu können.
In diesem Kapitel ist die "Straße" in ihrer widersprüchlichen Bedeutung als Lebens- und Verkehrsraum im gesamtstädtischen Rahmen betrachtet worden. Nun soll der Blick auf einzelne Stadtteile gelenkt werden, um unter anderem der Frage nachgehen zu können, ob und inwiefern Bedürfnisse nach Verkehrsanschluß und Straßenanbindung den allgemeinen Demokratisierungsprozeß begünstigt haben.
überall in Frankfurt wurden verkehrsaufschließende Maßnahmen gefordert, doch nicht im Westend, hier wünschten seine Bewohner die Verkehrsabschottung, denn sie setzten noch auf den herkömmlichen Individualverkehr: die private, mit Pferdekraft betriebene Droschke. Gesellschaftliche Absonderung gehörte zum Lebensstil, wie Siegfried Kracauer in seinem autoblographischen Roman Ginster festhielt: "Sie gingen durch das Westend, wo die Villen und die Herrschaftshäuser sich in ihre Vorgärten zurückziehen, damit der Asphalt sie nicht streift. Hier sind die Straßen am Sonntagsnachmittag verlassen, und die Häuser verstecken ihre Türen. Nur Dienstmädchen auf den Trottoirs, frisch gescheuert, mit Burschen, und in Abständen kleine Gruppen, die der Weg aus ihren Stadtteilen nach anderen Gegenden führt. Die Herrschaften sitzen hinter den Vorhängen oder sind auf dem Land".
Trotz manchen Briefwechsels zwischen Bewohnern des Westends und Gemeindeverwaltung kann gesagt werden, daß kollektive Handlungsweisen für diese wohlhabende Wohnbevölkerung eher die Ausnahme waren. Auch für sie galt: Frankfurt solle Industrie- und Großstadt werden, doch nur unter der Bedingung, daß ihre Wohn- und Lebenskultur dadurch nicht in Frage gestellt werde. Der Kommunalpolitik wurde in großbürgerlichen Kreisen nur wenig Beachtung geschenkt, dieses Aktionsfeld überlies man gern den jüngeren, aufstrebenden Kaufleuten, die sich im benachbarten nordwestlichen Stadtteil ansiedelten. Hier im Nordwesten, wo sich das neue städtische Bürgertum aus Wirtschaft und Bildung, aber ohne Verpflichtungen der Familientradition gegenüber, eine ebenfalls bevorzugte Lebens- und Wohnform zu eigen gemacht hatte, fanden die Bewohner des Westends ihre Interessenvertretung. Im Nordwesten gab es bereits seit 1889 einen Bezirksverein, der sich in die öffentlichen Auseinandersetzungen um Stadt- und Verkehrspläne einzumischen suchte. 1893 kam es zum organisatorischen Zusammenschluß bzw. zur Neugründung des Westlichen und nordwestlichen Bezirksvereins zu Frankfurt a.M.. Die räumliche Ausweitung der Vereinsaktivitäten des Bezirksvereins Nordwest, die sich in dem erweiterten Vereinstitel ausdrückt, war erfolgt, weil man sich so eine wirkungsvollere Einflußnahme auf kommunale Planungsentscheidungen versprach. Unmittelbaren Anlaß bildeten die Trambahnfrage und die Mittelschulfrage.
Der Nordwesten Frankfurts umfaßte das Gebiet nordwestlich der Eschersheimer Landstraße mit seinem südlichen Verlauf entlang des Anlagenrings unter Einschluß der Rothschild'schen Villa Ecke Reuterweg und Bockenheimer Landstraße und seiner Gemarkungsgrenze im Norden. Mit dem Palmengarten und Grüneburgpark war man an Grünflächen gut versorgt. In sich war dieser Stadtteil nochmals in drei Bezirke unterteilt, wobei in städtebaulicher Hinsicht in erster Linie die äußeren Bezirke 18 und 19 von Interesse waren, denn der innere 11. Bezirk war um 1890 bereits erschlossen und bebaut. Die Bebauung stadtauswärts entlang der Bockenheimer Landstraße und dem Gebiet nördlich davon, aber auch im Gebiet nördlich des Grüneburgwegs waren dagegen in den Anfängen begriffen und bedurften einer planerischen Vorgabe. In den beiden Bezirken 11 und 18 wurden bevorzugt dreistöckige Wohnhäuser gebaut, während im 19. Bezirk (Grüneburgpark) die Villenbebauung angestrebt war. Adickes' Planungskonzeption, die von der Prämisse ausging, große Bauflächen zu schaffen, gab hier der rechtwinkligen Straßenstruktur den Vorzug. Rationale Bodenverwertung und -ausnutzung begünstigen die Blockrandbebauung von großräumigen Wohnhäusern. Die südöstliche Bebauung des Grüneburgparks erfolgte insbesondere zwischen 1903 und 1905. Der Hauptgrundsatz der Planung für diese bevorzugte Wohngegend war, die offene Bauweise des Westends hier fortzuführen.
Die seit den 1870er Jahren unzureichend bedachte Freiflächengestaltung glaubte man nun durch großzügig angelegte Vorgärten ausgleichen zu können. Liebigstraße und Feldbergstraße wurden 24m breit trassiert mit 6m in breiten Vorgärten, Nachbarstraßen erhielten dagegen 14m in Breite und Vorgärten von 4m in Tiefe. Der Bezirksverein Nordwest beschrieb die Wohnlage seines Stadtteils mit entsprechendem Stolz, wobei das Ausschliesende und Ausgrenzende anderer Wohnbedürfnisse nicht zu überhören ist: "In der nordwestlichen Außenstadt enthalten die Wohnungen durchschnittlich fünf geräumige Zimmer mit reichlichem Zubehör und angemessener Bequemlichkeit. Die Preise für Wohnungen sind in diesem Stadtteil auffallend hoch, was sich aber leicht durch die hübschere Lage und die bessere Ausstattung erklärt; namentlich sind kleine Wohnungen gegenüber dem Durchschnittspreise in der Stadt, abnorm teuer. Es kostet in der nordwestlichen Außenstadt eine Wohnung von zwei heizbaren Zimmern jährlich 509 Mark Miete, eine solche von drei heizbaren Zimmern 543 Mark und eine solche von vier heizbaren Zimmern 801 Mark im Durchschnitt, während die entsprechenden Durchschnittspreise für die ganze Stadt 364, bzw. 526 und 754 M. sind".
Der selbstdarstellende Charakter dieser Beschreibung ist nicht zu verleugnen. Ansprüche in Wohn- und Lebensstil kommen hier zum Ausdruck; Abgrenzung und Segregation sind also durchaus bezweckt. Andererseits war dieser Stadtteil in noch stärkerem Maße als das Westend auf öffentlichen Verkehr und breitere Straßenführungen angewiesen. Denn wer hier wohnen konnte, hatte ein entsprechendes Einkommen, das aber in anderen Stadtteilen verdient wurde.
Bereits in den 1880er Jahren, also noch vor Gründung des Bezirksvereins Nordwest, war den Bewohnern dieses bevorzugten Stadtteils die defizitäre Versorgung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Problem geworden. Nachdem die Nordend-Linie das nördliche Frankfurt verkehrstechnisch an die Innenstadt angeschlossen hatte, initiierten 1884 Bewohner des nordwestlichen Stadtteils eine Massenpetition mit ca. 1.000 Unterschriften. Die Petenten waren Bewohner des Oeder- und Bornwiesenwegs, der Oberen Finkengasse, der Humboldt-, Hoch-, Körner-, Staufen-, Sömmering-, Fingenhof-, Stallburg- und der Baustraße, die den Magistrat aufforderten, ihren Stadtteil mit der nördlichen Vorstadt (Nordend) verkehrsmäßig zu verbinden. Planentwurf und Vorschlag der Trassenführung orientierten sich an Berliner Verhältnissen des öffentlichen Verkehrs, d.h. er war darauf ausgerichtet, in halbkreisförmigem Verlauf verschiedene Stadtteile miteinander zu verbinden. So machten Bewohner den Vorschlag, die neue Linie nach dem Adlerflychtplatz zu verlängern, indem man sie weiter nach Westen über die Lersner- und Heinestraße, Eschersheimer Landstraße, Grüneburgweg und Leerbachstraße führt, mit Anbindung an den Opernplatz. Die Petenten, die entsprechend den Wohnansprüchen dieses Stadtteils dem Wirtschafts- und Bildungsbürgertum zuzuorden sind, gaben vor, daß diese Linienführung dem allgemeinen Interesse entsprechen würde, also nicht nur den Bewohnern des Nordwestens zugute käme. Damit wäre auch die Ringführung der Trambahn, durch Anbindung der beiden Sachsenhäuser Linien westlich und östlich der Altstadt verlaufend, geschlossen worden. Magistrat und Tiefbauamt griffen diese Überlegungen der Stadtteilbewohner auf und entwarfen einen Alternativvorschlag mit Linienführung durch die Fichardstraße - anstatt Bau- und Lersnerstraße.
Zwei Wochen nach Eingang der Petition trug der Magistrat das Anliegen der Nordwest-Bewohner der Trambahn-Gesellschaft vor, die sich daraufhin an die Königliche Regierung in Wiesbaden wandte. Stadtverordnete griffen diese Aktivität auf, aber auch ein Verein zur Förderung des öffentlichen Verkehrslebens. Es wurde versucht, dem über die Petition artikulierten öffentlichen Interesse einen organisatorischen Rahmen zu geben, wobei der Verein im Januar 1885 glaubte, den Planungsprozeß durch eine erneute Petition forcieren zu können. Im März 1886 erteilte die Stadtverordneten-Versammlung ihre Genehmigung für eine Trambahn: Hochstraße - Eschersheimer Landstraße - Querstraße - Oederweg. Bewohner der Hochstraße waren allerdings mit dieser Linienführung nicht einverstanden und beriefen eine Bürgerversammlung ein. Eine als gut besucht bewertete Versammlung am 26.6.1886 einigte sich, den Vorstand eines Bürger-Kollegs zu wählen. Auch das Nordend Comite schloß sich dem Protest dieser neuen bürgerlichen Vereinigung an und schlug die Linienführung: Leerbachstraße - Grüneburgweg - Fichardstraße - Adlerflychtplatz vor. Andere Interessengruppen initiierten Petitionen, die die von der Stadtverordneten-Versammlung genehmigte und vorgeschlagene Linienführung unterstützten. Die zahlreichen und teilweise massiv vorgetragenen Bedürfnis- und Interessenartikulationen der außenstädtischen Neuansiedler nach Straßenbahnanschlüssen wurde als ein "nicht mehr aufzuschiebendes Lebensbedürfnis" bezeichnet. Die Aktivsten im Stadtteil griffen zur Selbsthilfe - es kam zur Gründung des Bezirksvereins Nordwest. Am 31.5.1889 hatten sie sich zur konstituierenden Sitzung im Rosenau eingefunden. Anwesend waren Stadtverordnete, so. z.B. der Kaufmann G. Wedel, der auch dem liberaldemokratischen Parteiverein angehörte, einige Rechtsanwälte waren unter den Gründern sowie der Syndikus der Frankfurter Handelskammer, Konsul O. Puls, der als die treibende Kraft dieses Vereins angesehen werden muß.
Um möglichst viele Stadtteilbewohner von der Vereinsgründung zu informieren und zur Mitgliedschaft bewegen zu können, verschickten die Initiatoren ca. 800 Einladungen zur Gründungsversammlung. Der Verein machte es sich zur Aufgabe, zur "Förderung der lokalen Interessen des nordwestlichen Stadtteils in Übereinstimmung mit den allgemeinen Interessen von Frankfurt" beizutragen. Stadtteil-Interessen zu verfolgen, habe nichts mit Politik zu tun, deshalb wolle man weder den politischen noch den Stadtverordneten-Wahlen dienen. Über hundert Stadtteilbewohner kamen zu dieser Versammlung; bis 1900 stieg die Mitgliederzahl dieses Vereins auf 366 an.
Doch mit zunehmender "Politisierung" von verkehrs- und straßenpolizeilichen Angelegenheiten blieb auch diesem Verein die Diskrepanz von programmatischem Anspruch und realen Gegebenheiten nicht verborgen, so daß ein Wandel im Selbstverständnis der Vereinsarbeit immer deutlicher zutage trat. Denn entgegen dem eigenen Anspruch förderten diese Vereine den Rationalisierungs- und Bürokatisierungsprozeß der kommunalen Arbeit, indem sie für den Magistrat Vorarbeiten und Alternativpläne erstellten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch sie bereit waren, ihre Arbeit als politisch aufzufassen.
Bereits im Gründungsjahr kam es zur Ernennung dreier Kommissionen, die sich nach fachkundiger Beratung um die Verwirklichung folgender städtebaulicher Projekte kümmern sollten:
1. Straßendurchbruch zwischen dem Nordwesten und der Innenstadt, Projekt Goethestraße - Trutz.
2. Straßenbahnanschlüsse im Nordwesten (Trambahn-Kommission).
3. Straßenbau-Projekte: Als vordringlich war die Verbindung zum Nordend angesehen worden, und zwar zwischen Grüneburgweg und Eschersheimer Landstraße (Straßen-Kommission).
Was wurde aus diesen Anliegen und welchen Anteil hatte der Bezirksverein Nordwest an der öffentlichen Entscheidungsfindung?
Mit der Durchführung der Goethestraße nach dem Trutz ging es dem Verein um eine direkte Verbindung vom Trutz über die Goethestraße zur Innenstadt. Die Hochstraße mit der ununterbrochenen Blockrand-Bebauung von 520 Meter läge, so der Bezirksverein, in dem verkehrsreichsten und wohlhabendsten Teile der Stadt (wie) ein Terrainblock. Man gab zu bedenken, daß die Abstände der Durchgänge im Verlauf der Wallanlagen in der Regel etwa bei gut 200 Meter lägen, d.h. nirgendwo sonst entlang der Wallanlagen eine solch hinderliche Grenzlinie vorhanden sei. Die Bewohner des Nordwestens mußten entweder den Weg über den Reuterweg zur Bockenheimer Anlage oder nach der Eschersheimer Landstraße nehmen, um in die Innenstadt zu gelangen. Man hatte sogar Finanzierungshilfe von M. 20.000 angeboten, damit ein Durchbruch durch diese 520 Meter lange Hochstraßen-Bebauung endlich vollzogen werde. Doch es tat sich nichts.
In zahlreichen Eingaben hatten sie den Magistrat von der Dringlichkeit ihres Anliegens zu überzeugen versucht, zumal die Verkehrsführung in den angrenzenden Gegenden der Innenstadt als vollkommen unzureichend beschrieben wurde. Der Verein stellte die Wichtigkeit seines Anliegens unter Berücksichtigung aller nur möglichen Argumente dar. Auch die städtebaulichen Brennpunkte wie Börse, Elisabethenschule und das Opernhaus wurden als zureichende Berechtigung des Durchbruchs vorgetragen. Der Magistrat gab keinen Grund an für seine ablehnende Haltung, doch an ihr ließ er keinen Zweifel, denn für Honoratioren-Projekte brachte Adickes kein Verständnis auf.
Im allgemeinen spiegeln Entscheidungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs immer stadtteilübergreifende Zusammenhänge wider. Tatsächlich hat kein anderer Bezirksverein im Wilhelminischen Frankfurt in diesem Ausmaß gesamtstädtische Öffentlichkeitsarbeit betrieben wie dieser. Man kann sagen, daß sich im Bezirksverein Nordwest die Modernisierungselite zusammengefunden hatte, die an der Planung und Gestaltung der Stadt Anteil nehmen wollte. Der Verein zog es zwar vor, im Dialog mit dem Magistrat seine Planungsvorschläge zu unterbreiten, doch scheute er nicht die Methode der Agitation. Und doch war er dem Einsatz von Massenpetitionen kritisch gegenüber eingestellt: Ich bin überhaupt gegen das Sammeln von Stimmen durch Unterschriften. Vor kurzer Zeit wurde ich auf offener Straße aufgefordert, meinen Namen unter eine Petition zu setzten und als ich genauer zusah, handelte es sich um eine Petition zur Erbauung einer Straßenbahn vom Offenbacher Bahnhof über die Mörfelder Landstraße in die Schweizerstraße nach der neuen Brücke. Wie viele von den Unterschriften unter dieser Petition mögen bloße Gefälligkeitsunterschriften gewesen sein ohne daß die Leute auch nur eine Ahnung davon hatten, um was es sich handelte. Und ebenso sammelt ein anderer vielleicht Unterschriften gegen dasselbe Projekt. Auf derartige Petitionen ist kein Verlaß. Ich glaube, wir sollten mit aller Energie darauf hinwirken, daß der Verein die Sache in ruhiger und zweckentsprechender Weise in die Hand nimmt, und versucht für die verfehlte Linie durch die Feuerbachstraße die Linie durch die Mainzer Landstraße einzutauschen.
Die Feuerbachlinie galt es zu verhindern, denn sie durchschnitt das bevorzugte Wohngebiet des Westends. Seine Bewohner konnten deshalb diesen Planungsüberlegungen wenig Verständnis entgegenbringen, zumal sie der Linienführung über den Reuterweg mit Anbindung an den Opernplatz und ihrer Weiterführung in Richtung Südwesten entlang der Mainzer Landstraße den Vorzug einräumten, um die dort wohnenden Geschäftsführer und Unternehmer mit Verkehrsanschluß gesichert zu wissen. Die kürzeste Verkehrsanbindung von Südwest - Nordwest und Nordend hätte diesen wirtschaftsbürgerlichen Kreisen die nötige Zeitersparnis erbracht. Die ersten verkehrsplanenden Entscheidungen unter Adickes stimmten den Bezirksverein Nordwest zuversichtlich, denn 1892 wurde die Strecke: Reuterweg - Grüneburgweg - Feldbergstraße eröffnet. Damit war der erste Schritt getan, den Nordwesten an das städtische Trambahn-Netz anzuschließen. Doch Umsteigen am Opernplatz war zeitraubend und umständlich zugleich. Hauseigentümer des Nordwestens gaben sich damit nicht zufrieden und forderten den direkten Anschluß dieser Linie an den Hauptbahnhof, weil Mieträume in entsprechender Preislage sonst nicht zu vermieten seien. Der Bezirksverein griff diesen Appell auf, indem er über seinen Vertreter in der Stadtverordneten-Versammlung, Wedel, mitteilen ließ, daß leerstehende Häuser im neuen Stadtteil Frankfurts ein Zeichen dafür seien, daß sie noch des nötigen Verkehrsanschlusses bedürften. Nun moniert man auch die Planungsentscheidung, die Straßenbahn bis zur Feldbergstraße zu führen, wo doch die Anbindung an den Adlerflychtplatz wichtiger gewesen wäre. Abschließend stellt man die Magistratspolitik an sich in Frage, da die geplanten Linienführungen nicht im allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrsinteresse lägen.
Das Beispiel zeigt, daß die Vereinsmitglieder in ihrer Argumentation vom defizitären Ist-Zustand (Auffangplanung) ausgingen, während die Planungsabsichten des Magistrats eindeutig in Richtung Entwicklungsplanung weisen. So kam es, daß der Magistrats-Vorschlag, die Endstation der Straßenbahn von der Feldbergstraße nach der Ginnheimer Straße zu verlegen, beim Bezirksverein Nordwest keine Unterstützung fand. Adickes hielt zwar an seinen Planungsprämissen fest, konnte oder wollte in der öffentlichkeit Näheres dazu nicht ausführen.
Doch weder der Bezirksverein Nordwest noch die Stadtverordneten-Versammlung ließen von ihrer Forderung ab; der öffentliche Druck verlangte vom Magistrat, eine Vorlage über eine mögliche Linienführung entlang Reuterweg - Mainzer Landstraße - Hauptbahnhof auszuarbeiten. Das hartnäckige Auftreten wurde noch unterstützt von Industriekreisen des Südwestens, wie noch darzulegen sein wird, die eine Trambahn-Verbindung über die Galluswarte hinaus entlang der Höchster Straße forderten. Der Bezirksverein Nordwest schloß sich mehr oder minder der Initiative des Südwestens an, unterstützte sie jedoch nur bedingt, indem er lediglich die Trassierung bis zum Hauptbahnhof als Verkehrsbedürfnis anerkannte.
Erst drei Jahre später kam es zur Generaldebatte in der Stadtverordneten-Versammlung, als der Magistrat die Erweiterung der Linienführung: Eschersheimer Landstraße - Grüneburgweg - Cronberger Straße - Liebigstraße - Bockenheimer Landstraße und Feuerbachstraße, zur Bewilligung vorlegte, nachdem die Industrie im Südwesten mit der Anbindung der Galluswarte an die Linie nach Nord-Nordost (Koselstraße - Berger Straße) vorerst zufriedengestellt war (1895). Adickes war nun gefordert, seine Planungsgrundlagen offen darzulegen. Die Ablehnung der Linienführung über den Reuterweg begründete er damit, daß so der Nordwesten nicht umfassend erschlossen würde, der Engpaß an der Taunusanlage (7,90 m Breite) diese Trassenführung unmöglich mache. Er führte noch Probleme der Pflasterung als auch ästhetische Gesichtspunkte ins Feld, doch überzeugten diese beiden Argumente die betroffene Öffentlichkeit nicht. Es kam zur Ablehnung des Magistrats-Antrags und erneuter Aufforderung, die jahrelang geforderte Linienführung endlich planungswirksam vorzubereiten.
Zunächst nahm man in der Öffentlichkeit an, daß staatliche Instanzen wie Regierungs- bzw. Polizei-Präsidium die Straßenbahnlinie entlang Reuter Straße und Mainzer Landstraße abgelehnt hätten. Doch dann wähnte man sich sicher, im Magistrat den Schuldigen gefunden zu haben.
Der Rechenschaftsbericht des Bezirksvereins West und Nordwest oder genauer seiner Trambahn-Kommission hörte sich nicht ermutigend an: "Wir haben uns nicht vorzuwerfen, daß wir in der Agitation lässig gewesen sind oder irgend etwas verabsäumt haben, was die Agitation hätte in Fluß bringen können; wir haben auch durch persönliche Besuche bei dem Herrn Oberbürgermeister und Polizeipräsidenten unsere Wünsche zu unterstützen gesucht, aber wir haben nur das Resultat erzielt, daß wir bei einem Besuch eine ausweichende, bei dem anderen gar keine Antwort bekommen haben.
Wir stehen in dieser Beziehung am Ende unserer Agitation, und da wir doch nicht dazu übergehen können, die Steuern deswegen zu verweigern, so glaube ich, daß wir uns keines andern Agitationsmitttels mehr bedienen können, als daß wir uns daraufverlassen, daß die Vernunft, die in unserm Projekte liegt, alle entgegenstehenden Schwierigkeiten besiegen wird."
Die lang ersehnte Linie sollte jedenfalls 1900 bewilligt werden und mit der Kommunalisierung der Frankfurter Straßenbahn wurde gleichzeitig die Elektrifizierung dieser Strecke vorgenommen. Mit der Liquidation der Trambahn-Gesellschaft und Übernahme in kommunale Trägerschaft ist die Zeit der konfliktträchtigen Diskussionen um Linienführungen beendet. Der kommunalpolitische Disput um die Reuterweg-Trambahn muß als Prestigeobjekt im Machtkampf zwischen Bezirksvereinen und Stadtverordneten auf der einen Seite und Magistrat und staatliche Kontrollinstanzen auf der anderen Seite angesehen werden. Denn als Folge des Planungsvollzuges ersuchte der Magistrat die Stadtverordneten-Versammlung, die Beseitigung von Vorgärten und Baumreihen entlang der Mainzer Landstraße und des Reuterwegs gutzuheißen. Die Haltung des Polizei-Präsidiums in Fragen der Straßenfreilegungen war meist, aus verkehrstechnischen Gründen der Maximalauslegung von Vorschriften zu folgen, als sich aus Rücksichtnahme gegenüber den privaten Grundstückseigentümern gegen die Freilegung auszusprechen.
Geht man einzelnen Interessenartikulationen des Bezirksvereins Nordwest nach, inwieweit sie bis zum Planungsvollzug wiederholt vorgetragen oder verworfen wurden, weil neue Bedürfnislagen entstanden und andere Planungsüberlegungen in den Vordergrund rückten, so entsteht keineswegs ein klares Bild: Sicher, die "Reuterlinie" war, wie gesagt, das Prestige-Objekt zwischen den widerstreitenden Interessen. Die Linie entlang der Eschersheimer Landstraße wurde realisiert (1901), als die Verträge mit der Lokalbahn ausliefen, doch im Fall der Linienführung durch die Fichardstraße war der Bezirksverein gezwungen, den Magistrat vor ungerechtfertigten Angriffen in Schutz zu nehmen: "Was diese Linie durch die Fichardstraße anlangt, so waren wir alle darin einverstanden, daß man gegen die städtische Verwaltung nach dieser Richtung hin keinerlei Vorwürfe erheben kann. Diese Vorwürfe richten sich gegen den Ring der sich durch die Anlieger gebildet hat, um die Stadt zu übertriebenen Abfindungssummen für die Abtretung der Vorgärten zu bewegen. Einem derartigen Unternehmen, das man nicht unterstützen, sondern nur mißbilligen kann und das eine Zusammenrottung möchte ich es beinahe nennen, der Anlieger bezweckt, um die Stadt zu zwingen, ganz unangemessene Beträge für den Verlust der Vorgärten zu zahlen, sollte die Bürgerschaft ablehnend gegenüberstehen, und wenn die Stadtverwaltung sich geweigert hat, die Vorgärten zu kaufen so hat sie hierbei auf die vollste Zustimmung von mir und den meisten Leuten rechnen können".
Adickes hatte, das ist an vielen Einzelbeispielen zu belegen, nicht selten von seinen Planungsüberlegungen Abstand genommen, wenn er bei Grundstücks- und Hauseigentümern auf großen Widerstand stieß. Öffentliche Diskussionen über Straßentrassierungen und/oder verkehrspolitische Entscheidungen versuchte er nach Möglichkeit auszuschalten, um so nachteilige Auswirkungen auf die Grundrentenerwartungen zu vermeiden. Die Vertreter des Bezirksvereins Nordwest verwies er jedenfalls an die Hauseigentümer der Fichardstraße, als sie um die Straßenbahnführung durch diese Straße nachsuchten. Der Magistrat ließ die Bezirksvereine wissen, daß ohne Unterstützung der Hauseigentümer städtebauliches Planen kaum erfolgreich sein kann. Konkret hieß das in diesem Fall: Die Hauseigentümer der Fichardstraße sollten von ihrem Bezirksverein davon überzeugt werden, daß der Verkauf von Grundstücksteilen, meist Vorgärten, gegen Entschädigung dem Allgemeininteresse entspräche, denn verbreiterte Straßen kämen allen Verkehrsteilnehmern zugute.
Es gab aber noch einen anderen Grund, warum sich der Magistrat ab 1896 vorübergehend mit Investitionen im öffentlichen Nahverkehr zurückhielt: Denn die Kommunalisierung der Straßenbahn stand an und damit die Ausarbeitung eines Verkehrskonzeptes nach gesamtstädtischen Planungsgesichtspunkten.
In einem Rückblick über die Vereinsarbeit (1906) bewertete ein Vorstandsmitglied die Straßenbahn-Verhältnisse Frankfurts als gut entwickelt, doch gleichzeitig machte er auf den sich vollziehenden Wandel im Personenverkehr aufmerksam - denn im Auto sah man bereits das neue Verkehrsmittel - und prophezeite, daß die Straßenbahn eine große Zukunft bereits hinter sich ha(be).
Als vordringliche Straßenbaumaßnahme hatte der Bezirksverein die Verbindung zum Nordend angesehen, es bedurfte also der Umwandlung des Grüneburgwegs von einer Wohnstraße in eine Geschäftsstraße, d.h. die Beseitigung der Vorgärten in der Wolfsgangstraße und im Grüneburgweg zugunsten der Straßenverbreiterung stand nun an. Die "betroffene Öffentlichkeit" im Grüneburgweg, i.e. Bewohner und ihre Interessenvertretung, der Bezirksverein Nordwest, stimmten mit dieser Planungsabsicht des Magistrats überein. Um den Planungsvollzug forcieren zu können, legte der Bezirksverein in einem Schreiben an die "Betroffenen" eine bereits vorformulierte Abtretungserklärung bei. Die Anwohner waren deshalb bereit zuzustimmen, weil sie sich von dieser städtebaulichen Maßnahme nicht nur bessere Verkehrsbedingungen sondern auch die Steigerung der Bodenwerte erhoffte. Obwohl 1890 von der Stadtverordneten-Versammlung beschlossen, zogen sich die Prozesse um die Rechtmäßigkeit von Enteignung und Entschädigungen über drei Jahre hin. Schien es anfangs, daß aufgrund allgemeiner und breiter Zustimmung, auch unter den betroffenen Hauseigentümern, der Planungsvollzug rasch erfolgen könne, so hatte man sich getäuscht. Im Grüneburgweg jedenfalls beklagte man die Verkehrsverhältnisse. Er befände "sich infolgedessen in einem geradezu elenden Zustande: Zusammenstöße und Stockungen gehör(t)en zu den alltäglichen Vorkommnissen, die schmalen Fußsteige vor den stehengebliebenen Vorgärten wechseln mit dem noch ungepflasterten Grunde der schon abgetretenen Vorgärten und bilden dort Winkel und Ecken, deren schleunige Beseitigung dringend nötig ist." Grund des verschleppten Planungsvollzuges: Einzelne Grundstückseigentümer glaubten, an der Kommune verdienen zu können, die Geldforderungen für Grundstücksabtretungen jedenfalls waren ins Unermeßliche angestiegen.
Zur Wolfsgangstraße: Noch zur Zeit von Oberbürgermeister Miquel war die Wolfsgangstraße zur Hauptverkehrsstraße zwischen Bornheim und Bockenheim erklärt worden, was deren Verbreiterung von 11,50m auf 20m zur Folge haben sollte. Mit diesen Plan-Entwürfen erklärte sich der Bezirksverein einverstanden, ohne die dortigen Anwohner über das Vorhaben des Magistrats informiert zu haben.
War ihm die Freilegung dieser Straße 1889 noch Hauptanliegen, so sah er in den groß angelegten Freilegungs-Projekten des Magistrats nach wenigen Monaten eine Gefahr für den Bestand des bevorzugten Wohngebietes.
Der Bezirksverein sah sich aufgefordert, seinen Fehler wiedergutzumachen, zumal ihm die Bewohner der Wolfsgangstraße näher standen als der Magistrat. Nach Protesten von Grundstückseigentümern kam es nun zu einer engen Zusammenarbeit von Hauseigentümern und dem Vorstand des Vereins. Nun sah der Verein den Sachverhalt anders: Mit dem verbreiterten Grüneburgweg wäre die entsprechende Hauptverbindung zum Nordend hergestellt, zumal die geplante Ringpromendade im Norden ebenfalls zur Entlastung des Verkehrs beitrüge, kurz: Verein und Bewohner baten um Beibehaltung der Wolfsgangstraße als Wohnstraße mit Villencharakter. Durch Wegfall der Vorgärten würde das bevorzugte Wohnviertel in ästhetischer als auch in finanzieller Hinsicht entwertet werden; der Magistrat möge versprechen, daß auch in Zukunft die ursprünglichen Plan-Entwürfe nicht zur Anwendung kommen würden. Ein Kompromiß auf Zeit bahnte sich also an.
In seiner Antwort räumte der Magistrat ein, daß erst in einigen Jahren mit der Freilegung zu rechnen sei, die Einziehung der Vorgärten also erst mit dem Planungsvollzug anstünde. Abschließend teilte er dem Bezirksverein und den betroffenen Grundstückseigentümern mit, daß es "... nicht angängig erscheint, die Freiheit der städtischen Behörden in ihren Entschließungen, für welche allein die Rücksicht auf die allgemeinen Interessen maßgebend ist, durch Zusagen an Private zu beschränken". Für Adickes war die Straßenfreilegung ein Mittel der Verkehrserschließung. Erhöhte Forderungen dienten ihm mitunter dazu, den Planungsvollzug demonstrativ abzubrechen, um über unzumutbare Verkehrsverhältnisse die öffentliche Stimmung für sich zu gewinnen. Es war also unter Umständen nur eine Frage der Zeit, wann der Widerstand von kleineren Interessengruppen gebrochen sein sollte.
In vorliegender Arbeit ist der finanzielle Aspekt der Adickes'schen Stadtentwicklungspolitik nur am Rande behandelt, weil kollektives Handeln zu Themen des Städtebaus eher nachrangig finanzielle Gesichtspunkte tangiert. Andererseits haben überhöhte Forderungen einzelner Grundstückseigentümer Planungsprozesse verzögert oder dazu beigetragen, daß alternative Planungskonzeptionen begünstigt wurden. Der Magistrat jedenfalls war aufgrund der zahlreichen Enteigungen, verursacht durch Straßenfreilegungen, immer gefordert, die wirtschaftliche Dimension seiner Planungen zu bedenken.
Aber eben nicht nur der Magistrat war in einer schwierigen Lage. Die Bezirksvereine waren in ihrer Mittlerrolle zwischen Stadtteilbewohnern und kommunaler Planungsbehörde keineswegs zu beneiden; das haben die beiden hier angeführten Beispiele gezeigt.
Der Bezirksverein Nordwest war jedenfalls auch die Organisation, die kommunale Öffentlichkeitsarbeit im Sinne der Magistratspolitik übernahm. Aber nicht immer war er in der Lage, den angestrebten Ausgleich zwischen dem Privatinteresse und dem viel beschworenen Allgemeinwohl herzustellen. Auch der Bezirksverein Nordwest stand im Interessenkonflikt zwischen Förderung der Verkehrsinfrastruktur im Namen des bürgerlichen Fortschritts und Wohlstands einerseits und Bewahrung privilegierter Wohn- und Lebensverhältnisse andererseits.
Es sind diese Ambivalenzen in den Reihen des städtischen Bürgertums, die sich hier offenbaren: das Privatinteresse des Einzelnen im Konflikt mit dem Allgemeininteresse einer werdenden Großstadt. Sicher, aufgrund der hier angeführten Beispiele mag der Eindruck entstehen, als sei die Arbeit der Bezirksvereine gescheitert. Doch dies ist nicht der Fall. Es sind eben seine informellen Einflußmöglichkeiten, die dazu beitrugen, den allgemeinen Demokratisierungsprozeß der städtischen Gesellschaft zu fördern, die hier nicht unterschätzt werden sollten. Der Bezirksverein war ein Spiegelbild des städtischen Bürgertums und das macht seine ambivalente Stellung zwischen Tradition und Moderne aus.
Ein weiteres hat die Untersuchung der Arbeit des Bezirksvereins Westend und Nordwest gezeigt: Die häufig vorgetragene und für selbstverständlich gehaltene These von einer Identität von Interessen zwischen städtischer Planungspolitik und der vom Wirtschafts- und Bildungsbürgertum geprägten Wohnbevölkerung des Westends und des Nordwestens hat durch die Quellen keineswegs Bestätigung gefunden.