Es sei nun der Versuch gemacht, die zugezogenen Einzelwanderer von 1891 und den innerstädtischen Wohnungswechsel, vor dem Hintergrund des stadtteilbezogenen Wohnungsmarktes von 1890 zu beleuchten, um die Dynamik des Verstädterungsprozesses durch die Optik eines Jahres erfassen zu können.
Zunächst zur Einteilung der Stadtbezirke: Bis 1891 war Frankfurt nach den Stadtteilen "Altstadt", "Neustadt" (zusammen: Innenstadt) und der "Gemarkung" aufgeteilt. Letztere war mit der rechtsmainischen Außenstadt identisch, mit Ausnahme Bornheims, 1877 eingemeindet, und dem linksmainischen altstädtischen Bezirk Sachsenhausens und dessen Gemarkung, dem sog. "äußeren Sachsenhausen". Das Stadtwachstum der 1880er Jahre machte jedoch eine Neueinteilung bzw. detailierte Einteilung der "Gemarkung" erforderlich. Diese wurde 1890 in die Gebiete: Südwestliche Außenstadt, westliche Außenstadt, nordwestliche Außenstadt, nördliche Außenstadt, nord-östliche Außenstadt, östliche Außenstadt, Bornheim, Inneres und äußeres Sachsenhausen umbenannt.
Der Frankfurter Wohnungsmarkt wuchs im Jahrzehnt 1880/90 um ein Fünftel auf 37.218 Wohnungen an. Rein quantitativ gab es in der Altstadt, der nördlichen und der nordöstlichen Außenstadt vergleichsweise die meisten Wohnungen. Obwohl sich der Wohnungsmarkt schon in den 1880er Jahren in die Außenstädte verlagerte, größere Gewerbebetriebe ebenfalls dort ihre Standortvorteile ausgemacht hatten, strebte der Hauptbevölkerungsstrom in die Innenstadt, weil hier immer noch das Zentrum des städtischen Wirtschaftslebens gesehen wurde. In der Disproportionalität von 5.600 vorhandenen altstädtischen Wohnungen (1890) und den mehr als 6.600 Zugewanderten, - Familien aber auch die Dienstboten sind hier nicht miterfaßt - sind Motive auszumachen, warum es ökonomisch interessant wurde, größere Wohnungen in kleinere zu teilen, um dann irgendwann auch noch auf engstem Raum Platz zu schaffen für zusätzliche Schlafstellen.
Der Schlafgänger mietete sich lediglich eine Bettstelle, aber kein Zimmer, wie der Zimmermieter. Beide Formen des Wohnens waren nicht immer klar voneinander zu trennen. Auch bei Wohnungserhebungen war es schwierig, das Ausmaß dieser sozialhygienisch und sozialpolitisch unerwünschten Wohnform zu erfassen. Zeitgenossen gingen davon aus, daß mit den offiziellen Verlautbarungen die realen Verhältnisse eher beschönigt wurden, d.h. die Zahlenangaben sind nur mit Vorbehalt auszuwerten.
Doch unumstritten ist, daß Schlafgänger vorwiegend junge Männer aber auch Verheiratete waren, die auf dem Lande lebten, lediglich zum Geldverdienen nach Frankfurt kamen und entweder wochends oder gar erst nach dem Ende der Sommermonate nach Hause fuhren.
1890 finden wir die Schlafgänger in den gemischt genutzten Stadtteilen wie Altstadt und dem Ostend. Über die östliche Neustadt soll sich das System der Schlafstellen nach dem Nordosten und Osten ausgeweitet haben, wobei das Auftreten in Bornheim besonders auffällig erscheint. Neben diesem eher kleinbürgerlich geprägten Stadtteil war auch das vom Kleinhandwerk und -handel dominierte Innere Sachsenhausen eine bevorzugte Adresse für Schlafgänger. In der westlichen Innenstadt überwog hingegen die Anzahl der Zimmermieter gegenüber den Schlafgängern. Die zeitgenössische Einschätzung war, daß Zimmervermietung nicht wohnungsmarktpolitisch bedingt war. Dagegen sei es Aufgabe der Kommune, dafür zu sorgen, daß das System der Schlafstellen, das sich vorherrschend unter Arbeitern durchgesetzt habe, wohnungspolitisch möglichst zu vermeiden sei.
Das wohnumfeldbewußte Bürgertum war jedenfalls bestrebt, sich von dieser Einwohnerschaft abzugrenzen; zumindest im Westen Frankfurts und im äußeren Sachsenhausen gab es so gut wie keine Schlafgänger. Was von ihnen im allgemeinen 1895 gehalten wurde, belegt die Verwendung einer Begriffsbestimmung aus den 1840er Jahren. Danach gehören zu ihnen "unverheiratete Knechte, Gesellen, Handlanger, die den Tag über aus arbeiten, und des Abends bloß zum Schlafen in Herbergen und andere Mietshäuser gehen, wo sie oft zu mehreren in einer Kammer auch zuweilen zu mehreren in einem Bette schlafen."
Sog. übervölkerte Wohnungen wurden gesundheitspolitisch in den 1880er Jahren zum Problem, doch ist dies keineswegs dem Schlafstellenwesen in erster Linie zuzurechnen. Im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Wohnungen oder Haushalte des jeweiligen Stadtteils traten sie im Inneren Sachsenhausen (20,9% der Haushalte im Jahr 1880 bzw. 22,5% der Haushalte im Jahr 1885) und in Bornheim (21,6% bzw. 24,6%) noch häufiger auf als in der Altstadt (14,6% bzw. 17%). In den außenstädtischen Stadtteilen Frankfurts lag der Anteil unter 5%. Selbst in der Sachsenhäuser Gemarkung, d.h. im äußeren Sachsenhausen waren 16,2% aller hier befindlichen Wohnungen überbevölkert. Der Anteil dieser Wohnungen betrug in der Neustadt etwa zehn Prozent.
Die Nachfrage nach einer Wohnung war in der Altstadt am größten, weil hier die Chance am ehesten gegeben war, wenigstens kurzfristig Arbeit finden zu können. Die Folge: eine sozialhygienisch kaum zu verantwortende Verdichtung dieses Stadtteils und das, obwohl sich der Bedeutungsverlust der Altstadt als Wohngebiet seit Mitte der 1870er Jahre in der steten Abnahme der Wohnbevölkerung in absoluten Zahlen, verursacht durch innerstädtische Mobilität, deutlich ausdrückte.
Drei Komponenten sollten städtisches Wohnen zum Thema der Frankfurter Stadtpolitik machen wie anderswo auch in den Großstädten des Deutschen Reiches: Die sog. Überfüllung, die Wohnqualität in hygienischer Hinsicht und die zu hohen Mieten". Die zeitgenössische Kritik an der zunehmenden Verdichtung konzentrierte sich in erster Linie auf die Wohneinheit. Nach dem Kriterium der "Behausungsdichte" war es die "Belegungsdichte", die in das Blickfeld von Kommunalmedizinern und Wohnungsreformern geriet. Lediglich aus pragmatischen Gründen hatte der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege den Wohnraum je Erwachsenen auf 10 cbm, je Kind auf 5 cbm als wohnungspolitischen Orientierungswert ausgegeben. Demnach war rein rechnerisch möglich, daß 5 Erwachsene und 5 Kinder in einem Wohnraum von 25 qm, bei einer Höhe von 3 m, gemeinsam leben konnten.
Doch nicht selten fanden Kommunalbeamte für die kaum zu verantwortenden altstädtischen Wohnverhältnisse noch beschwichtigende Worte, oder man war versucht, der Misere noch etwas Positives abzugewinnen. So wurde der Altstadt z.B. die bevölkerungspolitische Aufgabe zugewiesen, die Wanderungsströme von außen zunächst aufzunehmen, um dann später den seßhaft gewordenen Anteil auf die anderen Stadtteile Frankfurts über städtebauliche bzw. wohnungsbauliche Maßnahmen zu verteilen.
Während der altstädtische Wohnungsmarkt im Zeitraum von 10 Jahren (1880/90) lediglich um 2,3% zunahm, expandierte er in allen außenstädtischen Stadtteilen, mit Ausnahme des östlichen, überdurchschnittlich. Der hohe Zustrom an Bevölkerung im gesamten Innenstadt-Bereich läßt erkennen, warum die öffentliche Debatte über Möglichkeiten der städtebaulichen Intervention unmittelbar bevorstand. Ist es hier das Thema des Stadtumbaus, so weisen die Zahlenangaben für den Südwesten, aber auch die der anderen außenstädtischen Stadtteile, auf deutliche Defizite der städtebaulichen Erschließung bzw. wohnungsbaulichen Investitionen hin.
Aber auch der Anteil der innerstädtischen Mobilität gab zu erkennen, daß die Tage des städtebaulichen Wildwuchses gezählt waren. Etwa 1/4 bis 1/3 der Einwohner war in den 1890er Jahren jährlich innerstädtisch mobil. Diese Art der Wanderung trat in starkem Maße als Familienwanderung auf. Die Wohnungsmobilität war in allen Großstädten des Wilhelminischen Reiches recht hoch. Zog in Berlin, München und Altona binnen Jahresfrist jeder dritte Haushalt (1885) wieder um, war es in Frankfurt jeder vierte Haushalt.
1885 war die Mobilität von Familien in Bornheim am auffälligsten (30% der Haushalte waren innerhalb eines Jahres mobil). Das Statistische Amt begründete sie mit den unsicheren Erwerbsverhältnissen der Bewohner. Tatsächlich waren 3/4 der Bornheimer Haushalte innerhalb von 5 Jahren umgezogen. In der Häufigkeit der Umzüge folgte dann die Altstadt (27% der Haushalte).
Für 1885 wurde festgestellt, daß selbst die innerstädtische Wohnungsmobilität in starkem Umfang von den pauperisierten Unterschichten getragen wurde. Sie drängten sich in die altstädtischen Bezirke Frankfurts (Altstadt, Bornheim, Inneres Sachsenhausen) in der Hoffnung, dort Unterschlupf finden zu können. Die Altstadt war Umschlagplatz für Arbeitssuchende. Deshalb war deren Wohnungsmobilität oft auf diese Stadtteile beschränkt, sie zogen also gerade in die nächste Straße, am Wohnumfeld jedoch veränderte sich nichts.
Frankfurt am Main wurde im Deutschen Reich als wohlhabende Stadt angesehen, ihre tatsächliche Wirtschaftsleistung verdankte sie in den 1870er und 1880er Jahren der handwerklichen Gewerbeproduktion und dem Handel. Von den fast 13.000 Gewerbebetrieben und Handelsgeschäften (1890) wurden lediglich 6.900 zur Zahlung von Gewerbesteuer herangezogen. Frankfurts Wohlhabenheit beschränkt sich - zumindest nach der Gewerbesteuer-Erhebung von 1891/92 - auf 120 Großindustrielle und 2.390 Großkaufleute, die 4.390 steuerzahlenden Kleinhändler hingegen stehen wohl kaum dafür. Die Geschäftsstandorte von Großunternehmern und -kaufleuten näher betrachtet, mag uns einen Einblick in die Wohlhabenheit einzelner Stadtteile geben. Die westliche Neustadt war die eindeutig bevorzugte Geschäftsadresse von Bankiers, Kaufleuten und Unternehmern, nur wenige Kleinhändler fanden hier ihre Geschäftsgrundlage. Im allgemeinen gilt, daß sich die meisten gewerblichen Unternehmer und Geschäftsinhaber zu Beginn der 1890er Jahre noch am Zentrum der Stadt - der Altstadt und der Neustadt orientierten. Und doch ist eines unverkennbar: Während Bankiers, Unternehmer und Großkaufleute ihre Geschäftsstandorte bevorzugt in der westlichen Innenstadt (Altstadt und westliche Neustadt) sahen, bildete sich für Kleinunternehmer und Kleinhändler eher die Achse: Altstadt - östliche Neustadt - nordöstliche Außenstadt. Im bevorzugten Wohngebiet des Westends war an Gewerbeansiedlung kaum zu denken, im Südwesten hingegen stand die Erschließung für Industrieunternehmen unmittelbar bevor.
1890 kann von eigentlichen Industrieansiedlungen im Frankfurter Stadtgebiet kaum gesprochen werden. Noch bestimmten Alleinbetriebe bzw. kleingewerblich organisierte Beschäftigtenbetriebe den Arbeitsmarkt wie das Straßenbild der Frankfurter Stadtteile. 1890 gab es über 28.000 im produzierenden Gewerbe Beschäftigte; 14.500 waren es im Bereich Handel und Verkehr.
Der vergleichsweise hohe Anteil an wirtschaftlicher Aktivität in der Altstadt, -nach Betriebseinheiten und Beschäftigten beurteilt - fand keinesfalls seinen äquivalenten Ausdruck in einer hohen Steuerleistung. Sie lag vielmehr weit unter dem, was die Gewerbetreibenden der westlichen Neustadt aufzubringen vermochten. Selbst der nördliche und nördöstliche Innenstadt-Bereich erwiesen sich als finanzkräftiger als das traditionelle Zentrum Frankfurts. Auch diese Pro-Kopf-Steuerleistung sollte als ein wichtiger Gradmesser von Wohlhabenheit angesehen werden, denn auch auf diese Weise werden Hinweise auf das Sozialprofil eines Stadtteils gegeben. Auffällig ist die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Betriebe und der zur Gewerbesteuer veranschlagten gerade dort, wo der Kleinhandel dominierte - nämlich in der Altstadt, der östlichen Neustadt und dem Ostend, aber auch in Bornheim und in Sachsenhausen. Die von der Binnenwanderung weniger tangierten Stadtteile, wie die westliche Neustadt, nördliche, südwestliche und nordwestliche Außenstadt erwiesen sich als steuerpolitisch kalkulierbarer, weil hier die Fluktuationen geringer waren.
Die Fabrik stellt die Produktionsform des zentralisierten Großbetriebes dar, die mit zunehmendem Raumbedarf die Funktionalisierung und Differenzierung und damit die Entmischung des Stadtraumes notwendig werden läßt. Zeitgenossen verstanden hierunter hingegen eine Organisationsform der Produktion, bei welcher ein Unternehmer regelmäßig eine größere Zahl von Arbeitern außerhalb ihrer Wohnung in eigener Betriebsstätte beschäftigt(e).
In der zeitgenössischen Definition kommt klar zum Ausdruck, warum für die 1880er Jahre von einer Industrialisierung im Stadtraum Frankfurts kaum gesprochen werden kann. Um diesen Prozeß aber zu fördern, gründeten Unternehmer Frankfurts 1881 die Elektrotechnische Gesellschaft, um "die Entwicklung und Förderung der technischen Anwendung der Elektrizität und die Fortbildung ihrer Kenntnis durch Nutzbarmachung der technischen Einrichtungen und Erfahrungen für die Wissenschaft" zu unterstützen. Im gleichen Atemzug klagten sie über Frankfurts Defizite als Industriestadt, insbesondere über die unzulängliche Ausstattung des Arbeitsmarktes mit entsprechenden Arbeitskräften. 1891 war die Elektrotechnische Ausstellung nach Frankfurt geholt worden, um auch auf diese Weise zur Industrieförderung in der öffentlicheit beizutragen. Im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts erbrachte die Elektrifizierung von Produktionsstätten, Haushalten, Straßenbeleuchtung und Straßenbahn diesem Gewerbezweig die Bedeutung eines wirtschaftlichen Leitsektors.
Regelrechte Neugründungen von Fabriken im Stadtraum Frankfurt auch im Sinne von Neuansiedlung hat es fast nur entlang der Mainzer Landstraße und der anschließenden südwestlichen Außenstadt gegeben. Frankfurts eigentliche Industrialisierung begann mit der übernahme maschineller Produktionformen in handwerklichen Betrieben. Hatten 1895 im Deutschen Reich 4,5% aller Gewerbebetriebe Kraftmaschinen eingesetzt, so waren es in Frankfurt lediglich 2,6 Prozent. 509 Hauptbetriebe verfügten in diesem Jahr über 550 Motoren mit einer Leistung von 12.281 Pferdestärken. Die 595 Motoren, die 1890 in der Herstellung von Massengütern eingesetzt wurden, verteilten sich auf 347 Grundstücke. 217 Motoren kamen in der Alt- und Neustadt, 148 in Sachsenhausen zum Einsatz, wo die Großbrauereien ansässig waren. Die verbleibenden verteilten sich auf die einzelnen Stadtteile wie folgt: Ostend (55), Südwest (51), Nordend (46), Nordwest (27), Nordost (24), Westend (14) und Bornheim (13). Daß 1890 gut ein Drittel der Kraftmaschinen im Innenstadtbereich Anwendung fanden, spricht eher für deren klein- und mittelgewerblichen Gebrauch als für die zentralisierte Produktionsform der Fabrik.
Da die Modernisierung eines Handwerksbetriebes bis zu 10 Beschäftigen üblich war, wurden nunmehr alle diejenigen Gewerbebetriebe der Fabrikorganisation zugeordnet, die über 10 Beschäftigte aufwiesen. Als industrieller Großbetrieb galt jedes Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitskräften. Die Anzahl der Großbetriebe von 64 (1875) hat sich bis 1890 fast verdoppelt; bis 1907 sollte sie auf 345 ansteigen, d.h. auch dieser Vergleich markiert Frankfurts Industrialisierung im Sinne von Durchsetzung des Fabriksystems eher in die Ära von Oberbürgermeister Adickes.
Es kann hier festgehalten werden, daß sich vor der Jahrhundertwende die Fabrikarbeit im Vergleich zur klein- bzw. mittelbetrieblich-handwerklichen Produktions- und Arbeitsorganisation keineswegs durchgesetzt hatte. 397 Fabriken stehen 12.253 klein- und mittelgewerbliche Handwerksunternehmungen gegenüber. Dies spiegelt auch Frankfurts Arbeitsmarktlage mit gut 14.000 Fabrikarbeitern und fast doppelt so vielen handwerklich Beschäftigten wider - Dienstboten und Heimarbeit ausgenommen.
Und doch waren Anzeichen der industrialisierten Fabrikproduktion nicht zu übersehen, denn die südwestliche Außenstadt war schon vor 1890 als Industriestandort Frankfurts ausgemacht worden. Noch bevor Adickes die entsprechenden städtebaulichen Maßnahmen trifft, hatte sich diese Gegend bereits als Gunstlage für Industrieansiedlungen entwickelt. Die 33 Fabriken mit ihren 1.627 Arbeitern vereinten 68,9% der Wirtschaftsleistung dieses Stadtteils auf sich. Die handwerkliche Betriebsorganisation (193 Handwerke mit 734 Beschäftigten) lag gegenüber den bisher besprochenen Stadtteilen weit zurück. Lediglich in der westlichen Außenstadt sind die handwerklichen Wirtschaftsaktivitäten noch geringer (183 Betriebe mit 452 Beschäftigten). Frankfurts Wirtschafts- und Sozialraum befand sich in einer Phase des Wandels und Umbruchs. Dafür zeugen auch die fünf landwirtschaftlichen Betriebe mit 126 Beschäftigten und die sieben Gärtnereien mit 36 Arbeitern. Obwohl Straßenbau und die technische Infrastruktur im Südwesten Frankfurts noch unzureichend ausgebaut waren, haben transporttechnische und deshalb auch unternehmenspolitische Überlegungen den Ausschlag gegeben - die Nähe zum 1888 eröffneten Hauptbahnhof war maßgeblich - sich hier für den Industriestandort zu entscheiden. In keiner anderen Gegend Frankfurts konnte die Nachfrage nach großräumigen Grundstücken besser befriedigt werden als hier.
In der nördlichen Außenstadt befanden sich mit 72 Fabriken die meisten der 397 in diesem Stadtteil Frankfurts. 43 Bauunternehmen, 15 Schriftgießereien und Buchdruckereien und über 1.600 Arbeitern dominierten hier den Arbeitsmarkt von knapp 2.000 Fabrik-Arbeitsplätzen. Auch die 883 Handwerksbetriebe mit den 1.477 Beschäftigten wurden vom Baugewerbe angeführt. Und doch herrschte die Tendenz zur kleingewerblichen Betriebs- und Arbeitsorganisation vor. Dieses Bild ist noch ausgeprägter in der nordöstlichen Außenstadt. Auf 1.167 Handwerksbetriebe kamen 1.072 Arbeitskräfte. Die unterschiedlichsten Gewerbezweige waren hier anzutreffen.
Die geringste Wirtschaftsaktivität war in Bornheim anzutreffen. Drei Maschinenfabriken mit 82, eine Textilfabrik mit 126 und ein Bauunternehmen mit 42 Arbeitkräften umfaßt die gesamte "Fabrikproduktion" dieses altstädtischen, erst 1877 eingemeindeten Stadtteils Frankfurts. Die kleingewerbliche Wirtschaftsstruktur mit 522 Betriebseinheiten und lediglich 468 Arbeitskräften spricht für eine wirtschaftlich starke Durchmischung dieses Stadtteils. Bornheim hat für den eigenen Arbeitsmarkt der Industrieproduktion keine Rolle gespielt; den fanden sie in Bockenheim.
Im südlich des Mains gelegenen Alt-Sachsenhausen hatten sich schon im frühen 19. Jahrhundert Industriebetriebe angesiedelt, die auch noch um 1890 hier ihren Standort hatten. Besondere Bedeutung kam dem Maschinenbau (4 Betriebe, 451 Beschäftigte), einer Weberei mit 116 und 5 Bauunternehmen mit 155 Arbeitskräften zu. Damit erweist sich die Fabrikproduktion im inneren Sachsenhausen für einen altstädtischen Bereich als recht zentralisiert, wenn wir seine Entwicklung mit der der Altstadt vergleichen. Die eher kleingewerbliche Struktur der handwerklichen Produktion erbrachte Wirtschaftsleistungen, die fast 50% höher lag als die Bornheims. 245 der 400 landwirtschaftlichen Betriebe Frankfurts prägten die gemischtwirtschaftliche Struktur Sachsenhausens. Südlich des altstädtischen inneren Sachsenhausens fand die Industrie Ansiedlungsmöglichkeiten entlang der Mörfelder Landstraße und auf dem Mühlberg, dem sog. äußeren Sachsenhausen. Neben dem Industriegebiet entlang der Mainzer Landstraße und nordöstlich davon, dem südwestlichen Stadtteil Frankfurts und der östlichen Außenstadt, hatte sich hier bis 1890 ein wirtschaftlicher Aktivraum entwickelt, der andere räumliche Nutzungen erschwerte. Außer den gut ein Dutzend Brauereien mit annähernd 700 Arbeitskläften, waren es aber auch Fabriken der chemischen, Metall-, Maschinen-, Papier- und Lederindustrie, die hier mit dem Baugewerbe den Arbeitsmarkt bestimmen.
Halten wir fest: Insgesamt ist gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Ballung zentralisierter Großproduktion unverkennbar, die W. Fischer aus arbeitsmarkt-politischer Sicht als Versammlungen von Handwerksstätten bezeichnet hat. Zu einer ähnlichen Bewertung kam schon vorher Hans W. Geisler in seiner Dissertation über Die Bedeutung der Industrialisierung von Frankfurt a.M. für den Handwerkerstand, in der er Frankfurts Wirtschaftsstruktur als eine gemischte, d.h. teils handwerklich abgeleitete interpretiert. Daraus folgt, daß das Handwerk nicht als eine durch die Industrialisierung verursachte niedergehende Betriebs- und Produktionsform angesehen werden muß. Vielmehr kann diese Betriebsform in ihrer Fortbildung des Handwerks zum Kleingewerbe aufgefaßt werden, die in der Phase der Hochindustrialisierung am wirtschaftlichen Wachstumsprozeß entscheidenden Anteil hatte. Wir können den gesamtstädtischen Industrialisierungsprozeß Frankfurts zu Beginn der Wilhelminischen Ära wie folgt zusammenfassen: Die erste Phase der Industrialisierung (1875-1890) war geprägt von einer Ausweitung kleinerer Betriebseinheiten, die zum Teil den Vorteil maschineller Kraftquellen nutzten. Die Entwicklung des Beschäftigtenstandes hat aber gezeigt, daß traditionelle d.h. handarbeitend und handwerklich produzierende Arbeitsformen vorherrschten. Dies bewirkte zunächst ein stärker dezentral strukturiertes Wachstum der Frankfurter Wirtschaft. Sicherlich haben die Fabrikgründungen bzw. -ansiedlungen bis 1890 den Stadtbehörden die Entscheidung in Fragen der Standortbestimmung abgenommen, doch sollten die mit Maschinen produzierenden Großunternehmen mit ihrem enormen Raumbedarf und ihren Kapazitätsausweitungen, besonders im Hinblick auf das Arbeitskräftepotential, erst unter Oberbürgermeister Adickes die entsprechenden Ansiedlungsmöglichkeiten städtebaulich zugewiesen bekommen.
Wie haben sich die Kriterien "Erreichbarkeit" und "Wohnqualität" in ihrer scheinbar widersprüchlichen Beziehung räumlich manifestiert ? Die aufkommende Industriearbeit hat die Erreichbarkeiten in den Stadtteilen über die Neudefinition von Raumnutzungen verändert. So haben Gesichtspunkte der Wohnumfeldgestaltung (Wohnqualität) ebenfalls auf die räumliche Abgrenzung von baulichen Gunst- und Ungunstlagen Einfluß zu nehmen gesucht. "Erreichbarkeiten" bestimmen aber auch die räumliche und zeitliche Organisation des Tagesablaufs eines jeden Stadtbewohners. Ohne Frage kommt ihnen existenzielle Bedeutung zu. "Wohnqualität" hingegen ist oft Wunsch und Vorstellung und ihre reale Umsetzung ist abhängig von den entsprechenden finanziellen Mitteln.
Wohnen war immer auch klassenspezifisch geprägt: groß- und kleinbürgerlich oder proletarisch. Wer es sich leisten konnte, lebte in Villa oder Landhaus, die großräumige Wohnung im bürgerlichen Miethaus oder Kleinhaus war dem mittleren Bürgertum vorbehalten, die kleinen Wohnungen mit einem heizbaren Zimmer waren von den ungelernten Arbeitern und anderen Bewohnern mit geringem Einkommen nachgesucht.
Während die Einwohner mit geringem Einkommen in der Hochindustrialisierungsphase kaum vor der Wahl standen, zwischen den sich widerssprechenden Kriterien von "Zentrumsnähe" und "Wohnqualität" zu entscheiden - der Faktor Zeit machte bei einem langen Arbeitstag den Gesichtspunkt der Erreichbarkeit unter Hintanstellung des Aspektes Wohnqualität zur dominanten Größe - hatten einkommensstärkere Schichten die Möglichkeit, nach dem Grad der Beliebtheit eines Stadtgebiets als Wohngegend nach der Siedlungdichte, dem Bodenwert, den Mietpreisen, der verkehrsgünstigen und gesunden Lage, dem Prestige sowie nach ästhetischen überlgungen und dem Fehlen von Ärgernissen wie Lärm, Rauch und Schmutz" zu entscheiden.
Von den über 30.600 Haushalten (1893) verdienten ca. 20.800 (68%) weniger als M. 1.800 im Jahr. Handwerker, Kleinladenbesitzer und Arbeiter kommen über diesen Jahresverdienst nicht hinaus. Bei einer Familie mit zwei Kindern wäre eine Drei-Zimmer-Wohnung wünschenswert gewesen; die konnte um 1890 aber gut M. 500 im Jahr kosten.
Nicht einmal jeder dritte Haushalt Frankfurts konnte auf ein Einkommen zurückgreifen, das ihm möglich gemacht hätte, in seiner Lebensgestaltung auf "Wohnqualität" zu achten. Die einkommenschwächsten Berufsgruppen finden wir im Baugewerbe - hier erreicht nur jeder dritte Haushalt ein Einkommen über M. 900. Noch schlimmer waren die Verhältnisse bei Dienern und Auslaufern, ganz zu schweigen von den Tagelöhnern; sie stellten die Berufsgruppe der "Ärmsten". Doch sie waren in ihrer wirtschaftlichen Not nicht allein. Etwa die Hälfte der Einwohnerschaft Frankfurts des ausgehenden 19. Jahrhunderts lebte in ärmlichen Verhältnissen.
Wo fanden aber die einkommensschwachen Familien eine Wohnung? Die meisten Kleinstwohnungen gab es 1890 in den altstädtischen Wohnquartieren (Altstadt und Inneres Sachsenhausen) und in Bornheim. Bei hoher Nachfrage hatte sich hier ein vergleichsweise hoher Mietpreis ergeben: 320 bis 330 M. Jahresmiete für eine Zweizimmerwohnung in der Altstadt. Die Mietpreise für die Dreizimmerwohnungen in der Altstadt lagen bereits 1890 unter dem städtischen Durchschnitt von ca. M.450. Preiswerter waren auch hier die Wohnungen Bornheims, Bockenheims und des Inneren Sachsenhausens. Der Südwesten mit seiner neuen, gemischt entwickelten Siedlungsstruktur lag mit seinem Zinsniveau oberhalb der Durchschnittsmiete.
Frankfurt war eine Handelsstadt: Immerhin 70% der Haushalte, die vom Warenhandel lebten, verdienten zwischen 1.800 und 6.000 M.. Im Bankwesen waren die Verhältnisse noch günstiger: Nur jeder vierte Haushalt lag unter der Einkommensgrenze von 1.800 M. Keine andere Berufsgruppe konnte so viele Gutverdienende aufweisen, denn 40% der Bankiers hatten mehr als 6.000 M. zur Verfügung.
Aber wer konnte sich im Wilhelminischen Frankfurt leisten, seinen Wohnstandort bevorzugt unter dem Gesichtspunkt der "Wohnqualität" zu wählen ? Großkaufleute und Unternehmer machten jedenfalls den Anfang; sie zogen seit den 1870er Jahren mehr und mehr in die außenstädtischen Stadtteile des Westens, Nordwestens und des Nordends. Das wohlhabende Bürgertum gab neue städtische Gunstlagen in offener Bauweise vor, wo das produzierende Gewerbe nichts zu suchen hatte. Das Einfamilienhaus in Stadtrandlage löste die innerstädtische Villa in verdichteter Wohnlage ab.
Wirtschaftsbürgerliche Kreise aber auch alteingesessene ständisch orientierte Großgrundbesitzer veränderten die Kriterien der Wohnqualität und trugen so zum Wandel des sozialen Gefüges einzelner Stadtteile bei. Beide hatten unzweideutig dafür gesorgt, daß sich die räumliche Distanz von Wohnen und Arbeiten durchsetzen sollte, doch nur erstere agierten nach dem bürgerlichen Leistungsprinzip, waren für Modernisierung und Fortschritt. Sie gaben die marktwirtschaftlichen Arbeitsbedingungen vor, aber auch die exklusiven Lebensstandards. Letzteres hatten sie mit den an überkommenen Werten festhaltenden Stadthonoratioren gemein. Großbürgerliches Wohnen fand sich im Westen Frankfurts; hier waren die Mieten am höchsten, und dies keinesfalls leidvoll, denn Absonderung und Segregation waren gewünscht und verlangten ihren Preis.
Die wohlhabensten Bürger hatten ihren Wohnort also im Westen und Nordwesten der Stadt - zwischen Mainufer und Eschersheimer Landstraße - ausgemacht. Herrschaftliche Häuser mit einem hohen Anteil an Dienstpersonal war hier die Regel. Der Anteil mit 53% bzw. 55% aller Haushalte war in diesen exklusiven Wohngegenden am höchsten. Ganz allgemein galt für die Wilhelminische Ära: Der Dienstboten-Haushalt steht für Sozialprestige und Bürgerlichkeit in Wohn- und Lebensgestaltung. Wenn man bedenkt, daß jeder fünfte Haushalt Frankfurts 1890 auf Dienstboten angewiesen war, dann nehmen sich die folgenden Stadtteile in ihrem Sozialprestige eher bescheiden aus: Altstadt 8%, Nordosten 17%, Bornheim 3%, Alt-Sachsenhausen 8% und äußeres Sachsenhausen 16%. Im aufkommenden Industrie-und Bahnhofsviertel betrug der Anteil der Dienstboten-Haushalte immerhin 30%, im Nordend 37% und im Ostend 34%.
Auch die gymnasiale Schulbildung muß als ein wichtiger Faktor angesehen werden, der das Sozialprestige eines Stadtteils prägte. Wenn wir die Anteile der Kinder, die 1900 in ihrem Stadtteil die städtischen höheren Schulen besuchten, miteinander vergleichen, dann bestätigt sich das bisher gezeichnete Bild: Der prozentuale Anteil der Gymnasiasten ist im Westend und Nordwesten Frankfurts mit 60% bzw. 57% am höchsten. Dann folgen Nordend (30%) und westliche Neustadt (25%), der Südwesten (17%), der Nordosten und das Ostend (ca.12%), Bockenheim (15), nördliche Neustadt(14%) und das äußere Sachsenhausen (7%). Am niedrigsten ist der Anteil an Gymnasiasten in der Altstadt (5%), im Inneren Sachsenhausen (4%) und in Bornheim (2%).
Das wohlhabende Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum hatte also sein Wohnumfeld im Westen der Stadt ausgemacht, kaum anderswo, das mittlere Bürgertum dagegen in der nördlichen und östlichen Außenstadt. Ganz allgemein kann gesagt werden: Gelernte Arbeiter, Bürger mit mittlerem Einkommen und die aufkommende Gruppe der kaufmännischen Angestellten finden Wohnungen in den außenstädtischen Bezirken Frankfurts unter Ausschluß des Westends und des Nordwestens. Deren Lebenslage und Wohnverhältnisse waren den bürgerlichen Werten und Normen angepaßt und glichen sich mehr und mehr an. So wie der Stadtraum nach unterschiedlichen Aufgaben und Nutzungen dann aufgeteilt wurde, so strebte man auch die Aufteilung der Wohnung nach Wohn-, Eß- und Arbeitszimmer an.
"Erreichbarkeit" und "Wohnqualität", so wurde hier ausgeführt, tragen zur Charakteristik von Stadträumen entscheidend bei. Während "Erreichbarkeit" durch ökonomisches Denken und Handeln zur Zeitfrage geworden war und allein deshalb dem Zentrum einer Stadt neue Standortpräferenzen zugewiesen wurden, wandelten sich aber auch Ansprüche in Lebens- und Wohngestaltung.
Sicher, als weitere Gesichtspunkte, die das Ansehen und Wohlhabenheit eines Stadtteils aber auch Wohnungsinhabers bestimmen, können die Größe der Wohnung und, für die damalige Zeit wichtig, die Ausstattung mit Bad und anderen technischen Einrichtungen geltend gemacht werden. Es bleibt sich fast gleich, welche dieser Aspekte man näher betrachtet - es stellt sich stets das gleiche Bild ein: die exklusiven Wohnverhältnisse sind im Westen und Nordwesten Frankfurts anzutreffen.
Die Angestellten bildeten eine bürgerliche Zwischenschicht oder Klasse und hatten 1890 ihren Wohnort bevorzugt in Nähe der Arbeitsstätte. Unternehmer kümmerten sich fürsorglich um ihre leitenden Angestellten. Nicht selten traten sie als Bauherren von Angestellten-Wohnungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren Fabriken in Erscheinung. Der Südwesten und das äußere Sachsenhausen können als Wohnstandorte für die Angestellten deshalb nicht überraschen. Hatte sich das wohlhabende Bürgertum das Gebiet im Westen und Nordwesten Frankfurts zu seinem Wohngebiet erklärt, waren es für die neue Berufsgruppe der Angestellten der Norden und Osten der Stadt. Hier eiferten sie in bescheidener Ausstattung den bürgerlichen Wohnansprüchen nach. Der Abgrenzungswille gegenüber den Arbeitern war unter den Angestellten entsprechend ausgeprägt.
Und die Arbeiter? Ihr Hauptaugenmerk richtete sich auf die Existenzsicherung. Das unterschied sie vom Bürger in erster Linie: das gesicherte Einkommen, so daß eine selbstbestimmte und rationale Wohn- und Lebensgestaltung kaum möglich waren. So wundert es nicht, daß eindeutige Wohnstandorte kaum auszumachen sind. Auf der einen Seite gab es diejenigen Arbeiter, die der Arbeit in den Südwesten und das äußere Sachsenhausen folgten und dort Wohnung fanden. Auf der anderen Seite gab es aber auch ehemalige Kleinhandwerker wie z.B. in Bornheim, die mit einem Kleinhaus versorgt, ihren Wohnort nicht aufgeben wollten; deshalb pendelten sie bevorzugt zwischen Bockenheims Fabriken und Bornheim. Aber auch andere Arbeiter zog es nach Bornheim, denn hier war der Anteil der Zwei-Zimmer-Wohnungen überdurchschnittlich hoch und in keinem anderen Stadtteil waren die Mieten so billig wie hier (ca. 200-260 M.). Neben fehlender Erreichbarkeit, d.h. technischer Infrastruktur, dürfte die sanierungsbedürftige Wohnsubstanz den Mietpreis ausgemacht haben. Bockenheim mit seinen weiten Arealen für gewerbliche bzw. industrielle Nutzung lag in der Mietzins-Gestaltung in der Kategorie Bornheims. Arbeiter wohnten in verdichteten Wohnbereichen, also auch in der Altstadt und im inneren Sachsenhausen. Die Arbeiter fanden in Frankfurt weder klar abgegrenzte Wohnbereiche vor, noch war ihnen danach, sie anzulegen. Dies auch deshalb nicht, weil sie für sich keine homogene Klasse bildeten. Zu groß waren die Unterschiede zwischen den qualifizierten und den ungelernten Arbeitern. Die Arbeiter setzten auf Fortschritt und Modernisierung und das verband sie wiederum mit dem Bürgertum. Klassenschranken waren nicht zu übersehen, aber sie waren durchlässig, so daß der Gesichtspunkt der "Verbürgerlichung" nicht außer acht gelassen werden sollte. Doch dazu mehr im weiteren Verlauf der Arbeit.
In diesem Abschnitt war angestrebt, eine Zustandsskizze des materiellen Substrats zu geben, das Stadtplanung und Städtebau unter Oberbürgermeister Adickes in ihrer sozialen und gesellschaftlichen Dimension bedingte und in ihren Rahmenbedingungen erst verständlich macht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Frankfurt in den Anfängen, eine industriell geprägte Großstadt zu werden. Noch herrschten kleingewerbliche Produktionsformen vor, was natürlich entsprechenden Niederschlag fand in der sozialen Zusammensetzung seiner Wohnbevölkerung. Die Honoratioren der Stadt, aber auch seine aufstrebenden Wirtschaftsbürger hatten sich zwar einerseits von den mittellosen Bewohnern räumlich wie sozial abzugrenzen versucht, doch hatten sie andererseits ihre hegemoniale Anspruchshaltung auf die ganze Stadt bezogen. Universalität und Exklusivität standen in einem kompensatorischen Verhältnis zueinander so daß sich dadurch Ambivalenzen, aber auch vielfältige Verbindungslinien auftaten zwischen Klein-, Großhandel und zwischen Klein- und Großproduktion und analog dazu: zwischen Klein-, Großbürgertum und Arbeiterschaft. Letztendlich kann gesagt werden: Frankfurts Stadtteile waren mit Ausnahme des Westends, des Nordwestens und der Neustadt mehr oder minder heterogen zusammengesetzt. Wie sich dies in der Stadtpolitik des Wilhelminischen Frankfurt manifestierte, soll nun zum Thema gemacht werden.
Alle Einwohner gehörten zur Stadtgemeinde, aber die politische Willensbildung war gebunden an die preussische Staatsbürgerschaft und das Bürgerrecht. Politikfähig war, wer Wohnung, eigenes Haus oder Gewerbebetrieb in einem Frankfurter Stadtteil hatte oder ein Jahreseinkommen von M. 1.200 nachweisen konnte. 1890/91 war fast jeder dritte männliche Einwohner über 24 Jahren, der einen eigenen Haushalt führte, wahlberechtigt. Dieser Stadtdurchschnitt galt auch im großen und ganzen für die (neustädtische) Innenstadt, das äußere Sachsenhausen und die nordöstliche Außenstadt. In der westlichen, nordwestlichen, nördlichen und östlichen Außenstadt war bereits jeder zweite Haushalt wahlberechtigt; diese Stadtteile waren also die einkommensstärksten Frankfurts. Im altstädtischen Teil Sachsenhausens war hingegen bloß jeder vierte Haushalt, im traditionellen Zentrum Frankfurts sogar nur jeder fünfte wahlberechtigt, so auch in Bornheim. Eines zeigen diese Angaben deutlich: Das Stadtwachstum brachte einkommensbessere Einwohner in die Außenstädte; die der traditionellen Wohngebiete wie Altstadt, Alt-Sachsenhausen und Bornheim hingegen kämpften um ihre Identität. Doch tiefgreifende Krisenerfahrungen besitzen eine Mobilitäts- und Schubkraft, wie sie für die Bildung von sozialen Bewegungen nötig sind. Gerade in den traditionellen Stadtteilen Frankfurts war der Bedarf nach einem stadtteilbezogenen Bezirksverein, der sich um die städtebaulichen und infrastrukturellen Belange vor Ort kümmerte, am größten.
Sicher, das Leben auf der Straße, wo tagtäglich eine Menge von Menschen umherläuft, zur Arbeit geht und von der Arbeit nach Hause kommt, also in ein Netz von alltäglichen Verrichtungen eingebunden ist, dieses Leben, das allen Städtern gemeinsam ist, fand nicht unbdingt das Hauptinteresse der lokalen Parteivereine. Das Deuten und Hinweisen auf stadträumlichen Gegebenheiten, kurz: das öffentlichmachen von unzureichenden Verkehrswegen und Straßen blieb den Bezirksvereinen überlassen oder einzelnen Personen, die mithilfe der Petition Kollektivaktionen initiierten. Ein wesentlicher Unterschied allerdings bestand zwischen den beiden Kommunikationsmedien: Die Bezirksvereine legten Wert auf wahlberechtigte Mitglieder, das Medium der Petition dagegen war allen Einwohnern offen.
Wirtschaftlicher Fortschritt und industrieller Aufschwung machten schnellere und bessere Kommunikationsmöglichkeiten erforderlich. Da die kommunalen Investitionen für Straßenbau den innerstädtischen Kommunikationsverhältnissen nachhinkten, zogen Beschwerden über unzureichende Straßenverhältnisse immer weitere Kreise. Petition und Bezirksverein wurden zum Medium der Krisenbewältigung. Auf diesem Wege wurden kollektive Identitätsmuster angelegt und der Prozeß der Demokratisierung forciert, und zwar über das bloße Artikulieren von Ansprüchen und Forderungen; die Rhetorik offenbarte hierbei Erwartungen und Krisenerfahrung in der alltäglichen Lebensbewältigung zugleich. Ein Beispiel: 1884 beklagten Bewohner des Wohnumfeldes der Berger Straße, wozu namentlich auch ganz Bornheim gehört, in einer Petition die unzureichenden Straßenverhältnisse in ihrem Stadtteil. Man verwies auf eine Verkehrszählung des Jahres 1876, die für die Berger Straße die zweithöchste Frequenz im außenstädtischen Bereich erbracht haben soll. Danach haben 987 Arbeiter täglich die Bergerstraße passiert; in der Bockenheimer Landstraße hätte man dagegen nur 572 Fußgänger auf dem Weg zur Arbeit gezählt. Die Petenten versprachen sich infrastrukturelle Besserung entweder durch Anbindung ihrer Straße an die Zeil oder durch die Verbreiterung der Vilbelergasse. Im geheimen hofften sie auf die Verbreiterung ihrer Gasse zu einer Straße, zumal dies auch für den gesamten Stadtverkehr von Vorteil sei. Die Bewältigung alltäglicher Lebenszusammenhänge war Hauptmotiv für diese und viele andere öffentliche Äußerungen.....
....Um die Jahrhundertwende sandte ein Bewohner des Nordends einen Bericht über eine Räumungsklage an den Generalanzeiger, der diesen dann auch, ohne die redaktionelle Verantwortung übernehmen zu wollen, als Leserbrief unter der Rubrik Sprechsaal abdruckte. Die Baupolizei begründete ihre Klage mit unzulässiger Verwendung von Holz bei Deckenkonstruktion und Treppe und mangelhafter sanitärer Einrichtungen in dem viergeschossigen Haus, wobei die drei Obergeschosse mit je zwei Wohnungen lediglich mit Etagentoilette ausgestattet waren. Der Betroffene hält die Gegebenheiten des Hauses für nicht so schlimm und stellt nun die Behauptung auf, daß, wollte die Baupolizei alle vergleichbaren Wohnungen in Frankfurt ebenfalls verbieten lassen, so müßten für die meisten Stadtbewohner Baracken errichtet werden, um sie nicht obdachlos werden zu lassen. Er appellierte an die Polizei, die Wohnungsnot nicht künstlich zu vergrößern.
Ein weiterer Fall: Das Anwesen Herbartstraße 17 mit seinen vier Wohnungen a vier Zimmer, 1886/87 gebaut, wurde 1892 in den drei Obergeschossen aufgeteilt, mit zusätzlichen Trennwänden versehen, wodurch sechs Zweizimmerwohnungen entstanden. Da die unbebaute Fläche des Grundstücks nur 87,55 qm betrug, wurde nach Art. 7, Ziff. 2 der Staffel-Bauordnung für alle sieben Wohnungen des Hauses eine Freifläche von 210 qm verlangt, d.h. die Umgestaltung der Wohnungen in ihren ursprünglichen Zustand verfügt.