Von Claudia Michels
Im Sympathisanten-Nest Frankfurt nahm die Polizei 1972 Baader, Meins und Raspe fest
Das Haus, ein Wohnblock an der Adresse Hofeckweg 2-4, sieht aus, als hätte es nach der Geschichte von damals jegliche Zuwendung verloren. Ein Betonklotz ohne einen Baum oder einen Busch oder irgendeine Pflanze an den vier Seiten. Nur Beton, Rasensteine - und hinter dem Absperr-Gestänge zur Straße ein ungepflegtes Rasen-Dreieck, nicht größer als ein Badehandtuch.
Das Gebäude, aus dem am 1. Juni 1972 Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe mit Hilfe von Tränengas den neugierigen Zaungästen vor die Augen getrieben worden sind, repräsentiert die Bedürfnisse einer autogerechten Stadt: Parterre, am Garagenhof, wohnen die Autos, die Menschen leben obendrüber. Wo damals die Anwohner Spalier standen, ist inzwischen eine Hecke so hoch gewachsen, dass das Grundstück von hinten nicht mehr einsehbar ist.
Die drei Terroristen hatten am Hofeckweg am Dornbusch, der von der Polizei damals viele Tage lang observiert worden war, Kellerraum und Garage gemietet. Am frühen Morgen des Fronleichnamstags wird der Block von Polizeieinheiten umstellt. Der Garagenhof ist mit einem Panzerwagen blockiert. Das mächtige Fahrzeug rammt die Garagentür, versucht, das Tor einzudrücken, hinter dem man die drei Männer wusste. Dann platzen die ersten Tränengaskörper, die drei Gesuchten versuchen, in der Deckung des Panzerwagens nach zwei Seiten zu fliehen.
Die Polizei treibt sie mit einem „Sperrfeuer" aus ihren Maschinenpistolen zurück. Andreas Baader wird im linken Oberschenkel getroffen und bricht schreiend und schimpfend zusammen. Einen Augenblick später stolpert ein magerer Holger Meins, nur mit einer Unterhose bekleidet, in den Hof und stellt sich.
Dieser Tag, Fronleichnam 1972, war der Anfang vom Ende der Gründer-Generation der RAF, die im Monat zuvor in ihrem bewaffneten Kampf gegen die Herrschenden sechs Bombenanschläge quer durch die Republik verübt hatte. Drei Menschen waren dabei getötet, 74 verletzt worden. Wenige Tage nach den Verhaftungen im Hofeckweg werden auch Gudrun Ensslin (in Hamburg) und Ulrike Meinhof (in Hannover) gefasst.
Das linke Frankfurt war auf dem Weg in den bewaffneten Kampf eine entscheidende Station gewesen. Es gab in der Stadt ein dicht geknüpftes Sympathisanten-Netz, genug Leute, die für die Terroristen Wohnungen mieteten. Als der Baader-Meinhof-Bande im Winter 1970 der Standort Berlin zu heiß wurde, suchte sie sich Frankfurt als wichtigstes Versteck aus. Sieben „konspirative Wohnungen`; Adressen für das Agieren aus dem Untergrund, hat RAF-Chronist Butz Peters im Frankfurt der frühen Siebziger Jahre gezählt. Die „Bombenküche", wo Baader, Ensslin, Meins und Raspe Chemikalien zu Sprengstoff mischten, lag im vierten Stock des Hochhauses Inheidener Straße 69, im schönen Bornheim.
Beharrlich verorteten Zeitgenossen das Baader-Versteck im Kühhornshofweg
In einer Garage, das hat sich in die Stadgeschichte eingeschrieben, sind am 1. Juni 1972 um 5.50 Uhr früh die Terroristen Baader, Meins und Raspe von der Polizei mit Tränengas und Maschinenpistolen aufgespürt und festgenommen worden. Unvergesslich, denn für Zeitgenossen war nach der spektakulären Eilmeldung, die da am Fronleichnamstag aus dem Radio kam, die Frage offen, ob die lange Verstecktenwohl in jener Garage, mitten unter uns, gewohnt und geschlafen haben.
In Frankfurt also hatte ein riesiges Polizei-Aufgebot die Bombenleger überwältigt. Manche Quellen nennen die Örtlichkeit: Dornbusch. Die Berichterstatter mit der größten Nähe zum Geschehen haben die Adresse erwähnt: Kühhornshofweg 2 - so ist jenes in den Berichten mal zweigeschossige, dann wieder dreigeschossige Eckhaus nahe dem Hessischen Rundfunk als konspirativer Ort in die Chroniken eingegangen und wird seitdem durch die Archive transportiert. Der Reportage-Titel „Das letzte Gefecht im Kühhornshofweg" (FR vom 2. Juni 1972) scheint unvergänglich.
Nachhaltiger Verdacht
Ist ein Verdacht mal in der Welt, finden sich am Schauplatz dafür auch 35 Jahre danach lauter Anhaltspunkte. Man registriert und denkt sich manches dabei: Für den Straßenabschnitt vor dem 60er-Jahre-Wohnblock Kühhornshofweg 2-6 ist auf ganzer Länge Halteverbot angeordnet. Die Straßenlaterne ist auf Dauer-Licht geschaltet, leuchtet die Adresse auch im Sonnenschein eines herbstlichen Vormittags aus.
Der Eingang zur Hausnummer 2 liegt an der Rückseite, an einem schäbigen Innenhof mit Bäumen, die das dreistöckige Gebäude überragen. Nach längerem Suchen findet sich auch eine Garage, eine einzige. Das hohe Unkraut am Tor zeigt an, dass dieses lange nicht geöffnet worden ist. Wo man sich eine Zufahrt denken könnte, zwischen vermoosten Kantsteinen und überwachsenen Betonplatten, sind fünf angerostete Teppichstangen gruppiert.
Sieht aus, als sei an der Ecke alles umgebaut worden. Sicher sollte die Erinnerung an diesen Garagenhof, seit er in einer wüsten Schießerei zu einem Kriegsschauplatz geworden war, getilgt werden. Kein Durchblick, nirgends.
Da durchmisst ein Mann den Hof, steuert eine Haustür an. Was sich ihm fragend eröffnet, lässt ihn staunen: Hier soll es gewesen sein, wo der Kern der RAF gesprengt wurde? Zu mehr Klarheit, zu einer Auskunft aus dem Haus, kann der Besucher aber nicht verhelfen; „die Leute, die hier wohnen, sind noch nicht so alt".
Stunden später beweist ein zotteliger Grauhaariger, der im Kühhornshofweg das Laub fegt, das Gegenteil. „Baader-Meinhof?" fragt er, lässt den Besen sinken und zeigt straßaufwärts - „das war dahinten!" Dahinten, im Hofeckweg 2-4, finden sich tatsächlich Wohnblock samt Garagenhof. Der Mann mit dem Besen ruft noch: „Aber die sind doch tot!"