Eine romantische Idylle fernab der betriebsamen Handelsstadt Frankfurt muß auch der auf dem Gelände der Stalburger Öde vor dem Eschenheimer Tor gelegene Brunnen gewesen sein. Von hohen, Schatten spendenden Bäumen eingefaßt, lag das ‚Stalburger Brünnchen bey Frankfurt“, möglicherweise eine Mineralquelle, von dem wir eine von Wenzel Hollor nach dem Stande von 1630 angefertigte idealisierende Zeichnung besitzen, in einer von Mauern eingefaßten Vertiefung, die von den beiden länglichen Seitenwänden aus durch Steintreppen erreichbar war. Altertümlich-zierlich, zugleich geschmackvoll war die Umrahmung, besonders der muschelförmige seitliche Abschluß, ein steinerner Tisch und Ruhebänke luden zum Verweilen ein.
Die Öde mit diesem behäbigen, kleinbürgerlichen Plätzchen als gerne aufgesuchtem Mittelpunkt zwischen dem Holzhausenschen Besitz und der Landstraße nach Eckenheim wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts von dem reichen und angesehenen Frankfurter Patrizier und Handelsherren Klas Stalburger erworben. 1498 bezeichnete er sie in einer Urkunde als die „kleyne oede“ (wohl im Gegensatz zu dem Besitz der Herren von Holzhausen), „am Affenstein gelegen“. Zugänglich war sie in ihrer Abgelegenheit nur durch eine lange düstere Allee von hohen Bäumen. Theodor Reiffenstein, dem wir einige Zeichnungen und interessante Notizen über sie verdanken, nannte sie nur „die Seufzer-Allee“. Beinahe undurchdringliche Hecken, die das Besitztum umgaben, trugen dazu bei, den Eindruck des Tristen und Abgelegenen noch zu verstärken. Klas‘ Nachfahr Kraft Stalburger verfügte im 16. Jahrhundert, daß dieses Besitztum (ebenso wie das auf dem Kornmarkt gelegene Stammhaus) jeweils auf den ältesten Sohn der Familie übergehen sollte. Durch diese kluge und weitsichtige Maßnahme gelang es, Erbteilungen und Erbstreitigkeiten zu vermeiden; tatsächlich ist es dann bis zum Aussterben des Geschlechts im Jahre 1808 in dessen Besitz geblieben, ein ganz einzigartiger Fall in der Geschichte Frankfurts.
1552 bei der Belagerung durch Moritz von Sachsen ging es — wie wohl alle im Vorfeld der Stadtmauern gelegenen Höfe — in Flammen auf, der Belagerungsplan zeigt nur einen Gebäudekomplex mit einem hohen Rauchpilz, eine Zeichnung, wie sie uns auch klischeehaft von den anderen Anwesen überliefert ist. Kraft Stalburg hat es dann bald wieder aufgebaut, einen verhältnismäßig schlichten, durch eine steinerne Brücke zugängigen Bau, umgeben von einem breiten Wassergraben. 1734 wurde das inzwischen baufällig gewordene Haus durch einen modernen Neubau ersetzt, auch das Brünnchen im Garten wurde neu gefaßt. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erwarb dann die Familie von Rothschild für den Bagatellpreis von 22000 Gulden nach dem Aussterben der Stalburgs Haus und Garten, der Graben wurde jetzt zugeworfen, die Brücke entfernt und das Haus wohnlich eingerichtet. Doch eine Generation später schon war das Ende gekommen. Die Rothschilds, die ein prächtiges Wohnhaus in der Stadt besaßen, waren an dem kleinen, bescheidenen Landsitz nicht mehr interessiert. 1873 kam er in die Hände einer Frankfurter Bank, die das Gelände parzellierte und als Bauland verkaufte. Der Brunnen wurde 1876 zerstört und zugeschüttet. 1879 verschwanden die letzten Reste des Herrenhauses.
Theodor Reiffenstein hat uns eine wehmütig-elegische Schilderung des allmählichen Verfalls und der Zerstörung hinterlassen. 1873 ist der Garten von wildem Gestrüpp überwuchert, die schönen alten Bäume des Anwesens und der „Seufzer-Allee“ werden gefällt, das Haus, dessen unterer Stock erhalten bleibt, während das fein gegliederte Obergeschoß durch einen geschmacklosen Neubau ersetzt wird, wandelt sich in eine Bierwirtschaft „Zur Stalburg“. Die sich in der Gründerzeit in hektischem Tempo vergrößernde Stadt hat auch das Stalburger Idyll vernichtet.