...Skorbut, Diarrhöe und Ruhr waren unter den Insassen des 1679 zur Frankfurter Herbstmesse eröffneten Armen-, Waisen- und Arbeitshauses weit verbreitet. Die Erkrankungen nahmen 1692 derart überhand, daß der Arzt Johann Hartmann Senckenberg vom Pflegamt der Anstalt den Auftrag erhielt, die Ursachen zu erforschen. Senckenberg, von 1691 bis 1693 selbst Mitglied im aus sechs Ratsherren und zwölf Bürgern bestehenden Pflegamt, schöpfte sofort gegenüber dem in der Küche des Armenhauses verwendeten Brunnenwasser Verdacht und verglich in einem Experiment die Güte dieses Ziehbrunnens mit der Qualität des Quellwassers aus dem Friedberger Feld, das der Institution über eine Rohrleitung zugeführt wurde. Gegenüber dem "scharfen" und harten Grundwasser mundete Senckenberg das Quellwasser "lieblicher" und weicher. Die durch Destillation und Evaporation gewonnenen festen Rückstände fielen ebenfalls zugunsten des Röhrenbrunnens aus. Im Gutachten vom 11. Juli 1692 machte Senckenberg das schlechte Wasser des Küchenbrunnens für den hohen Krankenstand im Armen-, Waisen- und Arbeitshaus verantwortlich. Die logische Schlußfolgerung lag in der Empfehlung, daß das Leitungswasser "dem Küchen Brunnen weit vorzuziehen vndt beßer auch ohne schaden zum Kochen vndt Trinken zugebrauch(en) seij."
Mit dem Bau der Quellwasserleitung aus dem Friedberger Feld hatte die Stadt im Jahr 1607 begonnen. Die Leitungen bestanden zunächst aus bleiernen, später aus preiswerteren, aber nach einigen Jahren faulenden hölzernen Röhren. Seit 1771 ließ der "Stadtröhrbrunnenmeister" nur noch langlebige Röhren aus Eisen verlegen. Über das "Leitungsnetz" informiert ein im Besitz der Graphischen Sammlung des Historischen Museums befindlicher kolorierter Plan von Frankfurt und Umgebung aus dem Jahr 1690. Das in sechs Brunnenkammern in der Bornheimer Gemarkung gewonnene Naß bewegte sich unter der Friedberger Landstraße und über die Bornheimer Heide bis zur Kreuzung von "Friedberger" und Eiserner Hand auf Frankfurt zu. Von dort strömte das Quellwasser durch das Friedberger und das Eschenheimer Tor in die Stadt. Der östliche Hauptstrang folgte, nach der Abzweigung einer Nebenleitung zum Armen-, Waisen- und Arbeitshaus, in etwa der Linie Peterskirche-Liebfrauenberg-Römerberg und mündete am Schlachthaus in den Main. Der westliche Hauptstrang verlief durch die Eschenheimer Straße zum Roßmarkt und versorgte dort die Pferdeschwemme und einen Springbrunnen. Beide Hauptstränge verband eine Nebenleitung entlang der Katharinenpforte und der Bleidenstraße. Das im Vergleich zum Brunnenwasser reinere Quellwasser speiste fünf öffentliche Spring- und zwei Röhrenbrunnen.
Auf der Suche nach dem gesündesten Trinkwasser vergab der Frankfurter Arzt und Hydrologe Pasquay 1748 die besten Noten an das von ihm für besonders sauber und leicht befundene Regenwasser. Pasquay ordnete das Frankfurter Brunnenwasser nach dem spezifischen Gewicht, das er anhand einer selbst gebauten hydrostatischen Waage ermittelte, grob in die Kategorien leicht, mittel und schwer ein. Auf der von Pasquay zugrunde gelegten Skala lieferte der im Stadtwald gelegene Königsbrunnen das leichteste Wasser, während der Brunnen am "Goldenen Löwen" in der Fahrgasse das Schlußlicht in der Rangliste bildete. Ganz allgemein bevorzugte Pasquay Quell- vor Brunnenwasser, weil es in ständiger Bewegung vor Fäulnis geschützt war und nicht wie im Fall der offenen Schächte der Ziehbrunnen durch Tierkadaver oder hineingeworfene Schmutzstoffe verunreinigt werden konnte.
Nicht zuletzt aus Gründen der Trinkwasserhygiene wurden von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an die alten Ziehbrunnen in platzsparende Pumpenbrunnen umgebaut, die im Notfall außerdem schnell größere Löschwassermengen abgaben. Geschlossene Pumpensäulen machten kostspielige Säuberungsaktionen entbehrlich und Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang unmöglich. Beinahe jede Brunnenchronik weiß von einem tragischen Unfall beim Wasserschöpfen, aber auch von Selbst- und Kindsmord zu berichten. So wurde zum Beispiel am 4. Februar 1696 in dem 1356 erstmals erwähnten Freibrunnen auf dem Hühnermarkt (heute Standort des Technischen Rathauses) in einem Sack die Leiche eines Neugeborenen entdeckt. Per Trommelschlag wurde die Bevölkerung am 6. Februar über den grauenvollen Fund informiert und nach möglichen Zeugen gefahndet. Schon am darauffolgenden Tag konnte die Täterin, eine in der Garküche beschäftigte Magd, verhaftet werden. Als Kindsmörderin wurde die unglückliche Mutter am 12. Februar 1696 vor der Hauptwache enthauptet. Die "Brunnennachbarn" des Freibrunnens entschieden sich am 24. Juli 1759 für die 726 Gulden teure Umwandlung des Ziehbrunnens in einen Pumpenbrunnen. Der Bildhauer Johann Michael Datzerath verzierte die mit zwei Schwengeln ausgestattete Pumpensäule aus rotem Sandstein mit Rocaillereliefs und einer auch als Aquarell überlieferten Ansicht des alten Ziehbrunnens. Auf einer Standplatte bekrönte die personifizierte Freiheitsgöttin mit gesprengten Ketten zu Füßen und einem Hut - dem Symbol der Freiheit - in der Hand die Pumpensäule. Fortan nur noch "Freiheitsbrunnen" genannt, blieb die Anlage von den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg relativ unbehelligt. Nach 1945 wechselte der "Freiheitsbrunnen" mehrfach den Standort, bis er schließlich als verschollen galt. 1994 wurde der in seine Einzelteile zerlegte Brunnen auf dem Hof einer Steinmetzfirma wiederentdeckt und nach einem Gastspiel in der großen historischen Ausstellung "FFM 1200. Traditionen und Perspektiven einer Stadt" auf einem kleinen Platz hinter dem Leinwandhaus aufgestellt, wo er an die Modernisierung der städtischen Trinkwasserversorgung im 18. Jahrhundert erinnert.
...Wie war es in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts um die Entsorgung der Stadt Frankfurt bestellt ? Die Abfuhr des Straßen- und Hauskehrrichts hatte der Senat 1813 nach Distrikten an Landwirte verpachtet. Gestaffelt nach der Größe des Anwesens, berechneten die "Ackerbegüterten" den Hausbesitzern eine jährliche Gebühr von ein bis zwei Gulden, den abgefahrenen Müll verwendeten sie als Dünger. Gegen Aufpreis entleerten die Fuhrknechte auch mit Fäkalien gefüllte Kübel. Duldete das Polizeiamt die wasserdichten und mit Deckeln verschlossenen Fuhrwerke im Winter bis um zehn Uhr im Straßenbild, so hatten die mit einer wahrlich brisanten Fracht beladenen Wagen die Stadt in den warmen Sommermonaten spätestens bis um acht Uhr zu verlassen. Nachts wurden die Abortgruben ausgeschöpft. Vom Hausbesitzer engagierte Tagelöhner beförderten den Grubeninhalt nach oben, der Nachrichter Hoffmann oder einer der "Ackerbegüterten" verbrachte die Exkremente in Fässern und Wagen in nahe beim Gallus-Tor gelegene Gruben. Von dort trug im ungünstigsten Fall der vorherrschende Westwind den Gestank zurück in die Stadt. Ein später angewendetes pneumatisches Verfahren, bei dem der Grubeninhalt in eiserne Transportbehälter gepumpt wurde, verhinderte wenigstens die gröbsten Belästigungen. Nachrichter und Landwirte ließen sich die erbrachte Dienstleistung mit zwanzig Kreuzern pro Faß oder Wagen entlohnen. Polizeiverordnungen vom 13. Mal 1865 und 16. Juni 1867 regelten den Preis für das Fegen der Gruben nach deren Volumen, eine zuvor am 19. Juni 1863 erlassene Verordnung das gesamte Prozedere. 1863 existierten im Innenstadtbereich ohne Sachsenhausen 2.133 Gruben, 71 Abtritte auf Miststätten und 917 Kübelabtritte.
Die Hauptverantwortung für die vor allem im Sommer sich häufenden Beschwerden über Geruchsbelästigungen trug das Gewirr der alten "Antauchen". Etwa jedes zehnte Haus, das heißt rund 500 Anwesen waren weiterhin im Besitz des Seß-Rechts und leiteten Kot und Urin direkt in die "Antauchen". Hinzu kam eine geschätzte Dunkelziffer von circa 250 illegalen Einleitern, die ebenfalls die Abzugskanäle zur Entsorgung der anfallenden Ausscheidungsstoffe gebrauchten. Die zwölf bis zwanzig vom Bauamt zur Reinigung der "Antauchen" beschäftigten Kanalfeger leisteten eine undankbare Sisyphusarbeit. Der ans Tageslicht geschaffte Kanalschmutz beschwor unweigerlich Proteste empfindsamer Anwohner und Passanten herauf. Ohne System nach und nach angelegt und mit flachen Sohlen schlecht konstruiert, gefährdeten die leckenden Abzugskanäle durch die von ihnen ausgehende Bodeninfiltration Grund- und Brunnenwasser. Allen Kanälen fehlte es an einem einheitlichen Gefälle und der notwendigen Spülwassermenge.
Neben dem in Frankfurt geförderten Brunnenwasser belieferte seit Anfang des 17. Jahrhunderts die Quellwasserleitung aus dem Friedberger Feld die Stadt pro Tag mit rund 155 Kubikmetern Trinkwasser. Um 1825 machten sich nach einer Betriebsdauer von über zweihundert Jahren Mängel an der Leitung sowie ein erhöhter Wasserbedarf in Frankfurt bemerkbar. Zur Sicherung der öffentlichen Trinkwasserversorgung beauftragte das Bauamt den Architekt Philipp Jakob Hoffmann mit einem Gutachten über die Anlage einer neuen, ergiebigeren Wasserleitung. Der in städtischen Diensten stehende Chaussee-, Weg- und Brückenbauinspektor lieferte nach einer Inventur der vorherrschenden Wasserverhältnisse sowie umfangreichen geologischen Recherchen und Vermessungsarbeiten 1827 den gewünschten Bericht. Hoffmann plädierte für die Erschließung der Quellen des Knoblauchsfeldes auf einer Linie, die in etwa der heutigen westlich der Eckenheimer Landstraße gelegenen Falkensteiner Straße folgte. Die geplante Anlage umfaßte vier überwölbte, durch einen begehbaren Kanal zu einer knapp fünfhundert Meter langen Wassergalerie verbundene Brunnenkammern. Nach demselben Prinzip waren die Quellen des Friedberger Feldes neu zu fassen. Die von Hoffmann in Aussicht gestellten circa 1.500 Kubikmeter reinen Quellwassers pro Tag aus dem Knoblauchs- und dem Friedberger Feld sollten den Verteilungskammern am Eschenheimer und Friedberger Tor zugeleitet und von dort zur Versorgung von 98 Pump- und 118 Röhrenbrunnen, 120 Feuerhydranten sowie rund 500 privaten Wasserhähnen in ein etwa 17 Kilometer langes Stadtröhrennetz eingespeist werden. Die Kosten der "auf die gänzliche Entfernung aller Besorgnisse über Wassermangel auf Jahrhunderte hinaus" konzipierten Anlage bezifferte Hoffmann auf 254.000 Gulden. Den täglichen Wasserverbrauch eines Menschen kalkulierte er auf durchschnittlich 20,7 Liter.
In dem Vortrag des Senats an die Gesetzgebende Versammlung zur Bewilligung einer Anleihe über 260.000 Gulden zum Bau der neuen Quellwasserleitung vom 3. Juli 1828 befürwortete dieser nochmals das Projekt und betonte besonders den positiven Nebeneffekt einer ausgiebigeren Durchspülung der "Antauchen". Die Gesetzgebende Versammlung erklärte sich am 4. Oktober 1828 mit dem vorgeschlagenen Finanzierungsmodell einverstanden: Von 1828 bis 1834 wurde die Quellwasserleitung aus dem Knoblauchsfeld erbaut. Die Verdienste um die Wasserversorgung der Stadt Frankfurt wurden Hoffmann hoch angerechnet. Die "Frankfurter Jahrbücher" widmeten ihm am 30. Mai 1832 die folgende Lobeshymne: Herr Architekt und Inspektor Hofmann hat sich durch die Ausführung der neuen Wasserleitung ein unschätzbares Verdienst um unsere Vaterstadt erworben; möchte es derselbe doch nicht verschmähen, sich auch noch das Verdienst, die Atmosphäre der Stadt zu verbessern, zuzueignen, und sich dadurch in den beiden, für die Gesundheit wichtigsten Elemente, Wasser und Luft, ein ewiges Denkmal setzen." Für weitere Großtaten verblieb Philipp Jakob Hoffmann jedoch keine Zeit, er verstarb im Jahr der Fertigstellung der Wasserleitung aus dem Knoblauchsfeld am 8. Oktober 1834 im Alter von nur 55 Jahren. Der überwunden geglaubte Wassermangel stellte sich schon wenige Jahre später erneut ein. Das Bauamt wurde Anfang 1840 sowohl vom Senat als auch von der Bürgerrepräsentation und der Gesetzgebenden Versammlung bedrängt, den notorischen Engpaß in der Wisserversorgung der Stadt zu beheben.
Die Spülwasserfrage blieb offen. Das Thema Kanalgestank hatte bereits 1838/39 eine Neuauflage erfahren. Eine von der Gesetzgebenden Versammlung zur Untersuchung der leidigen Problematik eingesetzte Kommission monierte in der Sitzung vom 2. Februar 1839 mit aller Deutlichkeit den Mangel eines durchdachten "Kanalsystems". Nachdem die Gesetzgebende Versammlung im April 1836 schon einmal die Revision des Kanalwesens für notwendig befunden, aber keine dahingehenden Schritte unternommen hatte, blieb auch 1839 beinahe alles beim alten. Die von der Versammlung am 2. Februar 1839 beschlossene Unterbindung von Abtrittseinleitungen in die Kanäle bekämpfte zwar die Symptome, die grundlegende Korrektur der Anlagen zur Stadtentwässerung wurde hingegen auf die lange Bank geschoben. Das Problem war erkannt - noch fehlte es an einer innovativen Abwasser-Technologie. Die Initialzündung zur Anlage systematischer Schwemmkanalisationen erfolgte wenig später in England.
...Vom 27. Juli bis 28. August 1854 erkrankten 2.680 und starben 1.140 Personen an der Seuche. Auch Max Pettenkofer, damals noch Professor für medizinische Chemie an der Münchner Universität, erkrankte an der Cholera. Nach seiner Genesung setzte Pettenkofer alles daran, die Ursachen der Epidemie zu ergründen. Vor der Münchner Ärzte-Versammlung und der vom Innenministerium einberufenen Sanitätskommission referierte Pettenkofer am 15. und 29. September 1854 erstmals über die später zur "Bodentheorie" ausgestalteten Resultate seiner Ermittlungen. Demnach begünstigten ein muldenartiges Gelände, lockerer, Feuchtigkeit aufsaugender Boden sowie undichte Senk- und Abortgruben die Verbreitung der Cholera. "Die im Fäulniszustand befindlichen Exkremente", so Pettenkofer, "sind die materialistischen Träger der Disposition des Bodens für das Miasma." Zur Abwehr der Seuche forderte der Miasmatiker Pettenkofer eine geordnete Stadtentwässerung.
In Frankfurt am Main stand unterdessen die Kanalisation der Eschersheimer Landstraße auf der Tagesordnung der Gesetzgebenden Versammlung. Offene Abzugsgräben zu beiden Seiten der Landstraße hatten eine akute Verschmutzung des Brunnenwassers und Durchfeuchtung der Fundamente verursacht. Ihren aus Sorge um Gesundheit und Immobilienbesitz an den Senat adressierten Hilferuf untermauerten die Anlieger der Eschersheimer Landstraße mit dem Angebot, sich mit 6.227 Gulden an den auf insgesamt 15.568 Gulden veranschlagten Baukosten des Kanals zu beteiligen. Im Einverständnis mit der Bürgerrepräsentation ersuchte der Senat am 8. August 1854 die Gesetzgebende Versammlung um Bewilligung des städtischen Anteils an der Kanalbausumme über 9.341 Gulden. Routinemäßig leitete die Versammlung den Senats-Vortrag an eine Kommission zur Beratung weiter. Alles schien seinen gewohnten Lauf zu nehmen, niemand rechnete mit einer Wende in der vom klein-klein bestimmten Stadtentwässerungspolitik.
Der Referent der Kommission zur Prüfung des Kanalbaus in der Eschersheimer Landstraße, der Arzt Georg Varrentrapp, gab am 3. November 1854 nicht die erwartete kurze Stellungnahme ab, sondern er überraschte die Gesetzgebende Versammlung mit einer Grundsatzrede zum Frankfurter Kanalbauwesen. Nachdem er die Situation in der "Eschersheimer" kurz geschildert und die Notwendigkeit einer Kanalanlage bestätigt hatte, kam Varrentrapp auf sein eigentliches Anliegen, das Gesamtkonzept für den Frankfurter Kanalbau der Zukunft, zu sprechen. Auf der Basis einer Inventur der vorhandenen Kanäle sei der Bedarf, die Ausführung (flache Kanalsohle, Eiform oder nicht begehbare Röhren) und die Reihenfolge der Neubauten festzustellen. Gestützt auf das Nivellement aller Straßen, habe der Generalplan das Gefälle, die Dimensionen sowie die Bauart der einzelnen Teilstrecken exakt auszuweisen. Varrentrapp hinterfragte die willkürliche Anlage von vereinzelten Kanälen in neu errichteten Straßenzügen der Gemarkung noch vor Abschluß der Entwässerungsbauten im Innenstadtbereich und mutmaßte, nicht ohne rhetorisches Geschick, wie lange es bei einem Jahresetat von 5.000 Gulden wohl noch dauern werde, bis die ganze Stadt an das Kanalnetz angeschlossen sei. Ganz allgemein warnte der seit 1842 der Gesetzgebenden Versammlung angehörende Varrentrapp seine Kollegen davor, die Kanalbaufrage zu unterschätzen: "Eine gute Kanalisierung ist für jede Stadt, sowohl in Gesundheits-Rücksicht, als in Bezug auf Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Lebens, viel wichtiger, als dieß auf den ersten Anblick den Meisten erscheinen dürfte. Die Wichtigkeit nimmt mit der Größe der Städte und der Dichtigkeit der Bevölkerung in auffallender Proportion zu."
Als Teilnehmer am ersten internationalen Hygiene-Kongreß in Brüssel 1852, die aktuellen Trends auf dem Gebiet der Stadtentwässerung waren dort ausführlich zur Sprache gekommen, und ausgewiesener Kenner der Entwicklung in England verfügte Varrentrapp auf dem Sektor der Stadthygiene im Vergleich zu den anderen Mitgliedern der Gesetzgebenden Versammlung über einen deutlichen Wissensvorsprung. Bestens über die jüngste Cholera-Epidemie in München informiert, erläuterte Varrentrapp dem Kollegium den von Pettenkofer ermittelten Kausalzusammenhang zwischen einer unzureichenden Stadtentwässerung und dem Auftreten der Seuche. Aus seiner Präferenz für die von John Roe entwickelte AbwasserTechnologie machte der Referent keinen Hehl. Den fulminanten Einstieg in die Frankfurter Kanal-Diskussion beendete Varrentrapp als Berichterstatter der Kommission mit einer wahren Antragsflut: Vom Bauamt wurde vor dem Beginn der im Prinzip befürworteten Kanalisierung der Eschersheimer Landstraße der Nachweis über ein stärkeres Gefälle, die Vermeidung rechter Winkel und ein funktionelleres Profil erwartet. An den Senat erging das Gesuch, die Vorlage des nächsten Haushaltsentwurfs mit einer detaillierten Übersicht vorhandener Kanäle, Prüfung der unterschiedlichen Kanal-Varianten sowie Aufstellung eines Kosten- und Zeitplans noch ausstehender Kanalbauten zu verbinden. Als Ganzes betrachtet ging es den Einzelanträgen letztendlich um eine Gesamtkonzeption im Kanalbauwesen. Ohne Debatte stimmte die Gesetzgebende Versammlung den Anträgen der Kommission zu.
Auf kurze Sicht schien die Initiative Varrentrapps ins Leere zu laufen. Zwar lieferte der Senat das gewünschte Nivellement der Stadt und die Aufzeichnung der vorhandenen Kanäle, doch der an die Große Eschenheimer Straße anknüpfende Hauptkanal in der Eschersheimer Landstraße wurde unverändert nach den alten Plänen des Bauingenieurs Eckhardt 1855/56 ausgeführt. Die versuchsweise Anwendung neuer Kanalbautechniken erfolgte nicht bei dem Hauptkanal unter der "Eschersheimer", sondern, und das auch nur halbherzig, beim Bau einer Nebenlinie in der Bleichstraße. Trotz des anhaltenden Widerstands der Bauverwaltung und des Senats gegen Neuerungen im Bereich der Stadtentwässerung ließ die Gesetzgebende Versammlung in dieser Frage nicht mehr locker. Die Mitglieder der Versammlung nutzten jede Gelegenheit, um die ausstehende Gesamtkonzeption beim Senat zu reklamieren. Auf Antrag Konsul Mucks wurde der Senat am 23. Dezember 1858 einmal mehr "um möglichst baldige Vorlagen zum Behuf der Einführung eines vollständigen Systems unserer Kanalanlagen, um nach demselben die bestehenden Kanäle, wo nöthig, zu verbessern und zu ergänzen, neue in und vor der Stadt, wenn sie erforderlich sind, anzulegen und künftiges Bedürfniß der Stadterweiterung dabei thunlichst zu berücksichtigen", angegangen. Als Bauamt, Senat und Bürgerrepräsentation den Willen der Gesetzgebenden Versammlung ignorierten und im September 1859 die Bereitstellung von 7.634 Gulden zum Bau weiterer Einzelabschnitte in der Lange und Kleinen Friedberger Straße beantragten, riß der Gesetzgebenden Versammlung endgültig der Geduldsfaden. Sie lehnte die beiden Anträge des Senats ab und blockierte fortan unter Hinweis auf das ausstehende Gesamtkonzept standhaft alle Kanalbauprojekte des Senats. Angesichts der demonstrativen Entschlossenheit der Gesetzgebenden Versammlung lenkte die Ständige Bürgerrepräsentation 1860 ein und beantragte ihrerseits beim Senat die Vorlage eines Kanalsystems. Festzuhalten bleibt das Verdienst der Gesetzgebenden Versammlung, das Ende der "Flickschusterei" im Frankfurter Kanalbau eingeläutet zu haben. Georg Varrentrapps Grundsatzreferat über die Schwachstellen der örtlichen Kanalanlagen und über die sich mit der inzwischen in England und Hamburg erprobten neuen Abwasser-Technologie bietenden Möglichkeiten eröffnete am 3. November 1854 die Diskussion über das bis dato sträflich vernachlässigte Gesamtkonzept. Retardierende Kräfte im Senat und im Bauamt verzögerten die Verwirklichung einer systematischen Schwemmkanalisation. Leidtragende der Kontroverse zwischen den maßgeblichen Staatsbehörden waren die Einwohner Frankfurts, und ganz besonders die Bewohner des Westends.
Der erste Spatenstich zur Schwemmkanalisation erfolgte am 24. April 1867 an der Ecke Reuterweg und Bockenheimer Anlage. Schon am 4. Februar 1867 hatte das Bauamt Arbeiten zur Herstellung von 10.326 Metern Backstein- und 555 Metern Röhrenkanälen sowie die Lieferung von 4.553 Metern Kanalsohlstücken und 3.000 Kanaleinlaßstücken ausgeschrieben. Die Submissionsbedingungen konnten im Kanalbau-Büro, Paulsplatz 16, eingesehen werden. Angebote waren bis zum 11. März 1867 an das Bauamt, Paulsplatz 3, zu richten.624 Der Beginn des Jahrhundertbauwerks fiel in eine denkbar schwierige Zeit. Die verfassungsrechtliche Transformation zur preußischen Stadt war zwar im Gange, doch die Wahl der Stadtverordnetenversammlung, des neuen Selbstverwaltungsorgans, sollte erst am 18. Juli 1867 erfolgen. Noch befanden sich die freistädtischen Senatoren und die Mitglieder der Bürgerrepräsentation in Amt und Würden. Die finanzielle Lage der Stadt war völlig offen. Das Auseinanderdividieren des Vermögens und der Schulden Frankfurts in einen staatlichen und einen städtischen Teil gestaltete sich weitaus komplizierter als die verfassungsrechtliche Einbettung in das Königreich Preußen; zumal die Bürgerrepräsentation und nach dem 25. September 1867 auch die Stadtverordnetenversammlung mit dieser Materie die Forderung auf Rückerstattung der geleisteten Kontributionszahlungen verknüpften. Das unerwartet günstige Ergebnis der am 26. Februar 1869 in Berlin getroffenen Rezeßvereinbarung für Frankfurt - der Staat erstattete der Stadtgemeinde alles in allem drei Millionen Gulden - war im April 1867 natürlich noch Zukunftsmusik. Anfang 1867 bewies das Bauamt Mut zum Risiko und investierte die noch von der Gesetzgebenden Versammlung am 16. Mai 1866 bereitgestellte Summe von 300.000 Gulden in den ersten Bauabschnitt der Schwemmkanalisation.
Das Kanalbau-Büro signalisierte dem Bauamt am 27. März 1868, daß die vorhandenen Mittel nur noch bis zur Jahresmitte hinreichen würden. Realisiert war als Teil des oberen Systems eine 3.216 Meter lange Kanallinie vom Spülwasserreservoir an der Friedberger Landstraße über die Eiserne Hand entlang den Promenaden bis zum Gallustor mit Anschluß an den alten, in den Main mündenden Abzugskanal der Untermainanlage. Ein Kanalarm zur Entwässerung des Westends vom Zimmerweg über die Weserstraße in Tunnelbauweise unter den Bahnhöfen hindurch bis zur Gutleutstraße und ebenfalls in den Kanal der Untermainanlage einmündend war noch im Bau. Auf Antrag des Bauamts ersuchte der Magistrat am 3. April 1868 die Stadtverordneten, zur Fortsetzung der Kanalisation noch im laufenden Jahr einem außerordentlichen Kredit über weitere 300.000 Gulden zuzustimmen. Mit Rücksicht auf die prekäre Finanzlage der Stadt überwies die Versammlung den Antrag an eine mit den Stadtverordneten Benkard, dem Redakteur des "Volksfreundes für das Mittlere Deutschland" Hadermann, Ritter, Schiele und Varrentrapp besetzte Kommission zur Prüfung. Die Kanalbaufrage stellte sich aufs neue.
Die Schwemmkanal-Opposition erkannte natürlich sofort die sich bietende Gelegenheit, das Ruder noch einmal herumzuwerfen. Mehrfach bekniete Friedrich Krepp den Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung im April und Juni 1868 mit später als Druckschrift veröffentlichten Eingaben, sich von dem "schweren Fehler" der Gesetzgebenden Versammlung zu distanzieren und den "verhängnißvollen Irrweg" der Schwemmkanalisation zu verlassen. Als Alternative legte Krepp den städtischen Gremien das effizientere und kostengünstigere Liernursche Verfahren ans Herz. Da jede weitere Investition in die Schwemmanlage automatisch den Sachzwang, das einmal begonnene Unternehmen zu Ende zu führen, erhöhte, rief Krepp dazu auf, den 300.000 Gulden-Antrag zurückzuweisen, und forderte am 11. April 1868: "Die begonnenen Kanalarbeiten werden sofort eingestellt und der, wie ein Vampyr am städtischen Geldbeutel saugende Vertrag mit Herrn Lindley wird auf gesetzlichem Wege wieder aufgelöst." Die endgültige Abkehr vom Schwemmsystem suchte Krepp den Stadtverordneten mit dem am 15. Juni 1868 unterbreiteten "Entwurf zur Gründung einer Actien-Gesellschaft für Pneumatische Kanalisation und Landwirthschaftliche Verwerthung der städtischen Dungstoffe", mithin einer Privatisierung der Stadtentwässerung, schmackhaft zu machen. Auf der anderen Seite versäumten es auch die Nutznießer der Schwemmkanalisation nicht, sich für ihre Interessen einzusetzen. Mit einem von rund 270 Betroffenen - darunter Moritz Budge, zwei Mitglieder der Familie Ladenburg, der Bauspekulant und Rechtsanwalt Stephan Alexander Matti sowie Philipp Speyer -unterzeichneten Gesuch warben die Westendbewohner am 16. Juni 1868 um die Gunst der Stadtverordneten. Der dramatische Situationsbericht erinnerte an das mit Fäulnisstoffen gesättigte Erdreich, durchfeuchtete Fundamente, überlaufende Senkgruben und stagnierende "Kanäle" ohne Abfluß. Nur die Verabschiedung des 300.000 Gulden-Antrags könne die "Gefahr verheerender Epidemien" von dem Stadtteil abwenden. Die Pressure-Group versäumte es nicht, jedem Stadtverordneten ein Exemplar der Eingabe persönlich zuzustellen.
Die Entscheidung fiel in der 34. Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 3. Juli 1868. Mangels Konsens gab die Kommission ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum ab. Der Sprecher der Majorität, Zimmermeister Christian Benkard, reklamierte den Mangel detaillierter Planungen und Kostenvoranschläge über das Gesamtwerk, rief zur Ablehnung des Antrags und, angesichts der städtischen Finanzlage, "anstatt das Geld unter die Erde zu schaffen", zu Sparsamkeit und notfalls Stornierung des Kanalisationsprojekts auf Für die Minorität verwiesen der Direktor der Frankfurter Gasfabrik Simon Schiele und Georg Varrentrapp auf die von Lindley geschätzten Gesamtkosten der Kanalbauten von rund drei Millionen Gulden und plädierten energisch auf Weiterbau und Annahme der Magistratsvorlage. In Übereinstimmung mit dem Gutachten der Mehrheit wurde jede weitere Mittelvergabe an die Vorlage eines Rechenschaftsberichts und Kostenvoranschlags gebunden. Während die Gegner der Magistratsvorlage in der anschließenden Aussprache wiederholt die Finanznot der Stadt ins Feld führten, argumentierten die Befürworter gerade andersherum und forderten: "Frankfurt müsse alles Mögliche thun, um das Leben und den Zuzug in die Höhe zu bringen." Bei der Abstimmung folgten die Stadtverordneten mehrheitlich dem einflußreichen Varrentrapp, der noch einmal sein ganzes Fachwissen in die Waagschale geworfen hatte, und sicherten den Ausbau der Schwemmkanalisation mit der Bereitstellung von neuerlich 300.000 Gulden. Die Debatte hatte ein entscheidendes Manko des Frankfurter Kanalbauvorhabens an den Tag gebracht: Die Gesetzgebende Versammlung hatte es am 16. Mal 1866 versäumt, einen Kostenvoranschlag von William Lindley einzufordern, die Stadt am 24. April 1867, ohne über den gesamten Umfang der notwendigen Ausgaben im Bilde zu sein, den Kanalbau mehr oder weniger ins Blaue hinein gewagt. Folgerichtig wurde die zweite Kanalbaurate am 3. Juli 1868 nur unter der Auflage freigegeben, daß im Frühjahr 1869, spätestens aber vor der Beantragung weiterer Mittel, eine Kostenaufstellung über das Gesamtprojekt vorliegt.
Der olfaktorischen Martern überdrüssig, suchten nicht nur die Anwohner des Westends die geordnete Entwässerung ihrer Straßenzüge zu beschleunigen, indem sie Petitionen um die bevorzugte Kanalisierung an den Magistrat richteten. Die Eingabe vom 17. März 1869, den Neubau von Abwasserkanälen in der Zeil mit Vorrang zu betreiben, unterzeichneten 87 Anwohner und Geschäftsleute. Die Bittsteller begründeten das Anliegen mit der Bedeutung der Zeil als Einkaufsmeile und Aushängeschild Frankfurts. Den Wandel der Zeil von einer "Straße der Aristokratie" zu einem "Bazar" hatte schon Friedrich Krug in seiner 1845 veröffentlichten Beschreibung der Stadt Frankfurt beobachtet: "es scheint, als ob kein Handlungsgeschäft in Luxusartikeln existiren zu können glaube, wenn es nicht auf dieser bevorzugten Straße seine Waaren feil biete." Von auswärtigen Besuchern stark frequentiert, drohte die von den Gerüchen der alten Kloaken heimgesuchte Zeil, so jedenfalls die Petenten im März 1869, das Ansehen der Stadt zu schädigen. Um Beschwerden der Gäste zuvorzukommen, habe die Direktion des Russischen Hofs, des führenden Hotels der Stadt, das allabendliche Verstopfen der nächstgelegenen Kanalöffnung veranlaßt. Da Oberingenieur Lindley die Angaben der Zeil-Bewohner bestätigte, sollte die Kanalisation des Zeil-Distrikts tatsächlich Priorität erhalten.
In die Pflicht genommen, erfüllte William Lindley mit dem in englischer Sprache abgefaßten Report Frankfort on the Main. Sewerage Works" vom 12. April 1869 die Auflagen der Stadtverordnetenversammlung. Peinlich genau referierte Lindley in dem Bericht über den aktuellen Stand und die weitere Planung der Schwemmkanalisation. Fertiggestellt waren Kanäle von 12.450 Metern Länge. Der durchschnittliche Aufwand pro Kanalmeter betrug rund 48 Gulden. In einem beigefügten Übersichtsplan hatte Lindley das Zwischenergebnis mit roter Farbe markiert: Zur 1868 vorhandenen Kanalstrecke von der Friedberger Landstraße bis zum Gallustor waren zwei auf die Bockenheimer Anlage zulaufende Straßen im Nordwesten (Im Trutz Frankfurt und Leerbachstraße), die Gutleutstraße bis zur vorläufigen Ausmündung des Schwemmsystems in den Main unterhalb des Winterhafens und die von Mainzer Landstraße, Westend- und Guiollettstraße begrenzten Hauptlinien des Westend-Distrikts hinzugekommen. Den Bedarf an weiteren Kanalstrecken berechnete Lindley auf 100.575 Meter, die voraussichtlichen Kosten veranschlagte er mit 3.374.537 Gulden. Der detailliert, Straße für Straße ermittelte Aufwand für das komplette Kanalnetz mit einem Umfang von 113.025 Metern belief sich auf 3.974.537 Gulden und überstieg die von Lindley ein Jahr zuvor angestellte Schätzung mit fast einer Millionen Gulden um 34 Prozent! Für die Fortsetzung der Arbeiten im Westend und die anstehende Kanalisierung des nördlich der Zeil und der Großen Gallusstraße gelegenen Distrikts bis zu den Promenaden sowie eines von Eschersheimer Landstraße, Finkenhofstraße, Oberweg, Eckenheimer Landstraße und Anlagenring begrenzten Karrees im Nordend-Distrikt im nächsten Bauabschnitt kalkulierte Lindley einen Ansatz von 600.000 Gulden. Ausschlaggebend für die Reihenfolge der zu entwässernden Distrikte waren zum einen technische Gesichtspunkte und zum anderen die Hartnäckigkeit petitionierender Anwohner. Nachdem Lindley die noch 1868 beklagten Informationsdefizite bereinigt hatte, zollte ihm und Ingenieur Gordon das Bauamt am 21. April 1869 in einem Bericht an den Magistrat höchstes Lob: "Bei diesem Ueberblick der bisher ausgeführten und der noch auszuführenden Kanalbauten kann das Bauamt nicht umhin, die tüchtige Leitung der Arbeiten und die Unermüdlichkeit, Umsicht und Sparsamkeit, welche Herr Ingenieur Gordon bei der ganzen Aufgabe bethätigt hat, rühmend hervorzuheben und dabei anzuerkennen, daß es hierdurch zumeist gelungen ist, die umfassenden, zweckmäßigen und genialen Pläne und Entwürfe des Herrn W. Lindley mit Erfolg und mit raschem Fortgange zu verwirklichen." Im seit 1868 unter Führung des besoldeten Stadtbaurats von Oven stehenden Bauamt war offenkundig kein Platz mehr für die zumindest bis 1864 gehegten Ressentiments gegenüber der aus England importierten Abwasser-Technologie.
Der Magistrat akzeptierte den Vorschlag des Bauamts vom 21. April und forderte am 27. April 1869 die Stadtverordneten auf, zur Sicherung des nahtlosen Fortbaus der Kanalanlagen 600.000 Gulden zu bewilligen. Die Stadtverordneten taten am 3. Mal, was sie in einer solchen Situation immer zu tun pflegten, und beriefen eine mit Brofft, Kayser, Ritter, Schiele und Varrentrapp besetzte Kommission. Der Ausschuß fand an den Detailplänen Lindleys nichts auszusetzen, sprach sich für die Annahme des 600.000 Gulden-Antrags aus und drängte darauf, möglichst bald alle Distrikte an der "Wohlthat der Canalisierung" teilhaben zu lassen. Der Berichterstatter, Fritz Kayser, hatte in der Sitzung vom 25. Juni 1869 kaum geendet, da ergriff Otto Volger das Wort. Dem erst über die Ergänzungswahlen vom 19. November 1868 in das Stadtparlament gelangten entschiedenen Schwemmkanal-Kritiker bot sich zum ersten Mal die Gelegenheit, von dieser Stelle aus das neue Entwässerungssystem der Stadt zu attackieren. Bei seinem Frontalangriff erklärte Volger die Frage nach dem besten System für wissenschaftlich nicht entschieden und hakte nach, ob Fäkalien nun in die neuen Schwemmkanäle eingeleitet werden könnten oder nicht, und wenn ja, wohin sie dann eigentlich entsorgt würden. Zuletzt bezweifelte er den Nutzen der Kanäle für den allgemeinen Gesundheitszustand, verdächtigte sie vielmehr als potentielle Seuchenherde. Volger forderte ein Moratorium im Frankfurter Kanalbau. Varrentrapp begann seine Entgegnung mit dem Stoßseufzer, daß die Kanal-Kritiker jede Etatberatung zur in Frage Stellung des ganzen Projekts mißbrauchten. Wie- schon so oft verstand es Varrentrapp, das Plenum zu überzeugen, so daß in der Aussprache nur noch der Arzt Carl Ludwig Jung sowie der Rechtsanwalt Ludwig Haag offen dem Antrag Volgers beipflichteten. Die Mehrheit teilte die Feststellung des Abgeordneten Petsch-Goll, "Ohne Canäle könnten wir nicht existieren", und gab dem Magistratsantrag über 600.000 Gulden für den Kanalbau ihr Plazet.
Dem unverbesserlichen Schwemmkanal-Gegner Hadermann und dem von ihm in der Stadtverordnetenversammlung vom 10. August 1869 erneut beantragten Baustopp ist es zu verdanken, daß die 45 anwesenden Parlamentarier in einer namentlichen Abstimmung Farbe bekennen mußten. Die Befürworter des Moratoriums unterlagen mit 16 gegen 29 Stimmen. Neben den profilierten Oppositionellen Volger, Jung, Hadermann und Benkard stimmte zum Beispiel die an den menschlichen Fäkalien als Düngemittel interessierte "Agrar-Fraktion" (die beiden Gärtner Abt und Funk) für einen Baustopp. Auf der anderen Seite überrascht es nicht, daß die beiden in der Versammlung vertretenen Maurermeister Ritter und Walluf gegen den Antrag votierten. Das Protokoll der Sitzung verzeichnet als Verfechter des Schwemmkanalbaus unter anderen die Abgeordneten Matti, Schiele, Varrentrapp, den Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Anton Theodor Brentano, und nicht zuletzt Leopold Sonnemann.
Georg Varrentrapp und Leopold Sonnemann waren in der Kanalbaufrage einer Meinung. Nationalliberale und Demokraten bildeten zugunsten der Schwemmkanalisation in der Stadtverordnetenversammlung von Zeit zu Zeit eine große Koalition. Im von Sonnemann geführten Demokratischen Wahlverein hatte sich der Protagonist der Anti-Schwemmkanal-Bewegung, Friedrich Krepp, am 2. November 1868 unbeliebt gemacht. Nachdem Krepp im Plenum des Wahlvereins die Einschaltung der Wiesbadener Behörden im Streit um die Schwemmkanäle verteidigt hatte, hagelte es aus den Reihen der demokratischen Vereinsmitglieder Proteste gegen das Vorgehen des Schwemmkanal-Kritikers. Die von Sonnemann herausgegebene "Frankfurter Zeitung" bemühte sich um einen neutralen Standpunkt und berichtete sowohl über die Veranstaltungen der Schwemmkanal-Opposition als auch über die Erfolge der neuen Anlage zur Stadtentwässerung. Die Übernahme dezidiert für oder gegen die Schwemmkanal-Technologie Partei ergreifender Beiträge von Sachverständigen kennzeichnete die Redaktion mit einem distanzierenden Hinweis. Bei aller Ausgewogenheit der "Frankfurter Zeitung" protegierte Sonnemann die Transformation zur modernen Großstadt, machte er sich für die Kanalisierung und Elektrifizierung Frankfurts stark. Nicht umsonst haderte Otto Volger damit, daß die Anhänger der Schwemmkanalisation in Frankfurt alle Schaltstellen der Macht besetzt hielten: "Es herrschen bei uns in allen Kreisen und Körperschaften die 'Wasserclosetfanatiker' - [ ... ] - die unbelehrbaren und unbeugsamen Profeten der Schwemmsiele." Im Vergleich zu den erbitterten Wortgefechten der Jahre 1868/69 passierte im Mai 1871 eine weitere Kanalbaurate über 600.000 Gulden zur Entwässerung des südlichen Zeil-Distrikts, der Gegend des Sandwegs, des Hauptkanals des unteren Systems und eines Teils von Sachsenhausen reibungslos die städtischen Gremien. Die Magistrats-Vorlage vom 16. Mai 1871 wurde von der Stadtverordnetenversammlung am 25. Mai 1871 erstmals sofort, das heißt ohne sie an eine Kommission zu überweisen, abgesegnet - die Würfel waren gefallen.
Der Zeitplan der Kanalisationsarbeiten geriet unterdessen zusehends aus den Fugen. Die Bau- und Finanzkommission der Stadtverordnetenversammlung hinterfragte im Dezember,1872 besorgt die Terminierung des Kanal-Projekts und stellte zu ihrem Leidwesen fest, daß dem Unternehmen keine klare Frist gesetzt worden war. 1866 hatte man grob mit einem Zeitansatz von fünf Jahren gerechnet. Ernüchtert konstatierte der Berichterstatter des Ausschusses, Simon Schiele, am 19. Dezember 1872 vor den Stadtverordneten, daß allein die erste Hälfte der Kanalanlage fünfeinhalb Jahre in Anspruch genommen hatte. Damit sich die "Sewerage Works" nicht ins Endlose hinauszögerten beantragte Schiele mit Erfolg eine exakte Zwischenbilanz sowie Maßregeln, die eine Übergabe des Gesamtwerks zum 1. Juli 1875 gewährleisteten. Die Antwort des Kanalbau-Büros ließ auf sich warten. Endlich, am 1. Oktober 1873, legte William Lindley nach 1869 den zweiten Generalbericht zum Bau der Frankfurter Schwemmkanalisation vor. In gewohnt gründlicher Manier listete der verantwortliche Oberingenieur die Namen aller Straßen mit Schwemmkanälen (Stand Juni 1873) sowie das folgende Zahlenmaterial auf. Bei einem Aufwand von 2.078.838 Gulden hatte das Kanalnetz inzwischen eine Ausdehnung von 50.688 Metern erreicht. Abzüglich 18.961 Gulden, die für im Voranschlag des Jahres 1869 nicht enthaltene Straßenzüge aufgewendet wurden und somit der Stadterweiterung geschuldet waren, hatte das Kanalbau-Büro den für die realisierten Abschnitte kalkulierten Mittelbedarf von 2.024.418 Gulden lediglich um 35.459 Gulden oder 1,75 Prozent überzogen. Für die ausstehende zweite Hälfte des Kanalbauwerks verzeichnete der überarbeitete Gesamtplan weitere 53.123 Meter Kanäle und Kosten von 2.384.000 Gulden. Summa summarum ergab das ein erheblich kürzeres Kanalsystem, als 1869 berechnet, von 103.811 Metern Länge zu einem Preis von 4.462.838 Gulden. Um durch die Stadterweiterung hinzugekommene Kanalstrecken bereinigt, betrug die Differenz zum Kostenvoranschlag des Jahres 1869 exakt 274.839 Gulden oder 6,15 Prozent. Die zusätzlichen Ausgaben rechtfertigte Lindley mit dem Hinweis auf die seit 1871 gestiegenen Materialpreise und Lohnkosten. Außerdem habe man die trigonometrische Vermessung der Stadt und den Betrieb der Kanäle zusätzlich aus diesen Mitteln bezahlt. Nicht ohne eine Hintertür offenzuhalten, wagte William Lindley am 1. Oktober 1873 die Prognose, "daß wenn nicht unvorhergesehene Fälle höherer Gewalt und dergleichen dazwischen treten mit Ende des Jahres 1875 die ganze Canalisation in ihren Haupttheilen hergestellt sein kann."
Die Frankfurter Kanalisation war zwei Jahre später natürlich noch nicht fertig. Zehn Jahre nach dem Beginn der Bauarbeiten hatte das Kanalbau-Büro im Februar 1877 noch viel zu tun: Die untere Altstadt und weite Teile Sachsenhausens entbehrten noch immer der Kanalisation, die Hauptauslaßkanäle beiderseits des Mains waren noch nicht in Betrieb. Die Arbeit der Tiefbauingenieure nahm, obwohl bis zum Jahresende 1876 mittlerweile 95.266 Kanalmeter existierten, kein Ende, da sich das Stadtgebiet immer weiter ausdehnte. Anfang 1877 zählten der Röderbergweg-Distrikt, das erweiterte Nordend und das eingemeindete Bornheim zu den Desideraten der Stadtentwässerung. Über das Fortschreiten der Bauarbeiten wurde penibel Buch geführt und jeder neue Kanalmeter gleichsam als ein Triumph der Stadthygiene gefeiert.
Die Auflistung der jährlich ins Werk gesetzten Kanalmeter legt Zeugnis ab vom festen Willen der Stadtregierung, die Entwässerungsanlage Zug um Zug zu vervollständigen. Aussagekräftiges Zahlenmaterial zum tatsächlichen Stand der Frankfurter Abwasserentsorgung bietet die Relation der Grundstücke mit und ohne Kanalanschluß. Noch mehr ins Detail ging die Volkszählung im Jahr 1880. Die Befragung interessierte sich nicht mehr nur für den Anteil der kanalisierten Anwesen, sondern erhob, nach Stadtteilen getrennt, auch die Entsorgungsverfahren der noch nicht an die Schwemmkanäle angeschlossenen Grundstücke. Dabei stellte sich 13 Jahre nach dem Baubeginn der Kanalisation heraus, daß von 2.871 oder 37,4 Prozent der bewohnten Grundstücke wie von alters her die Fäkalien abgefahren wurden. Der Standard der Entsorgungsstrukturen bietet ein exaktes Abbild der sozialen Hierarchie unter den Stadtteilen. In den siebziger Jahren boomte der Kanalbau in Frankfurt. Die Schwemmkanalisation war im alten Stadtgebiet allerdings erst nach einer von heterogenen Entsorgungsstrukturen gezeichneten dreißigjährigen Übergangszeit im Jahr 1897 komplett. Die Ausdehnung von Kanalisations- und Trinkwassernetzen dient als Leitparameter für das Niveau der öffentlichen Gesundheitspflege einer Gemeinde. Die Assanierung hatte ihren Preis: Die Verschuldung der Stadt.
...In der Fahrgasse explodierte am 20. Juni 1879 ein alter Abzugskanal an der Mehlwaage. "Die Kanaleinläufe, Kanaldeckel, Pflaster bis hinauf zum Württemberger Hof, flogen wie Spreu in die Luft, während gleichzeitig Dampf, der ähnlich wie Petroleum roch, aufstieg." Zwei Arbeiter, die mit ihren Lampen die Kanalgase entzündet hatten, und ein elfjähriges, von einem umherfliegenden Kanaldeckel getroffenes Mädchen wurden schwer verletzt. Neben den explosiven Kanalgasen waren Ansammlungen von Schwefelwasserstoff, der bei der Zersetzung von eiweißhaltigen Haus- oder beispielsweise auch von Gerbereiabwässern entstand, gefürchtet. Da schon wenige Atemzüge zu Bewußtlosigkeit und Tod führen konnten, starben immer wieder Kanalarbeiter an dem farblosen, aber am unangenehmen Geruch identifizierbaren Gas. Schutz vor den lebensgefährlichen Gasansammlungen bot nur eine permanente Luftzirkulation. Die Zerstreuung der Faulgase sicherten zwischen Kanalscheitelpunkten und der Straßenoberfläche angelegte Ventilationsschächte und über die Dächer hinaus verlängerte Hausentwässerungsröhren. Im Winter konnte die warme und somit leichtere Kanalluft über in den Türmen der Bockenheimer, Gallus-, Friedberger und Sachsenhäuser Warte installierte Kamine an den Endpunkten des Entwässerungssystems entweichen. Das Unikat eines 1871 durch das Bauunternehmen Philipp Holzmann errichteten, etwa dreißig Meter hohen und mit der Kanalisation in Verbindung stehenden Ventilationsturms auf dem Friedberger Platz verlor mit der Inbetriebnahme des Kamins in der Friedberger Warte im Jahre 1902 seine Bedeutung. Den Hausbesitzern, die das suspekte Bauwerk als "Stinkthurm" bezeichneten und für Verluste bei den Mieteinnahmen verantwortlich machten, ohnehin ein Dorn im Auge, wurde der Ventilationsturm 1903 niedergelegt...
...Das 1849 in Sprendlingen gegründete Bauunternehmen Philipp Holzmann erhielt am 18. April 1867 den Auftrag, die im Februar vom Bauamt ausgeschriebenen ersten 10.326 Meter Backstein- und 555 Meter Röhrenkanäle im West- und Nordend herzustellen. Zwischen der Stadt und dem seit 1856 in der Obermainstraße ansässigen Unternehmen, das später zum Beispiel auch die Untermainbrücke oder das Opernhaus errichten sollte, war das der Beginn einer erfolgreichen Partnerschaft. Philipp Holzmann eröffnete darüber hinaus in Mannheim, München und Düsseldorf Kanalbaubüros und erwirtschaftete im Zeitraum von 1874 bis 1893 rund zehn Prozent des gesamten Umsatzes mit Aufträgen zur Stadtentwässerung. Neben Philipp Holzmann standen 1871 die Firmen Lönholdt (Zeil-Distrikt) und Franc (Sandweg-Distrikt) im Sold des Frankfurter Kanalbaus. Die Verträge der Unternehmen betrafen allein die Ausführung der Bauarbeiten, das heißt die Ausschachtung der Grube, die Herstellung des Kanals, das Zuschütten der Grube und die Wiederherstellung der Straßendecke. Sämtliche mit dem Kanalbau verbundenen Risiken wälzte der Auftraggeber auf die Baufirmen ab: "Der Uebernehmer ist für alle Schäden verantwortlich, welche während oder in Folge der Ausführung dieses Baues an anderen öffentlichen oder Privatanlagen vorfallen; ebenso für persönliche Unfälle, ob sie seine Leute oder Andere betroffen; auch muß derselbe besonders die nöthigen Vorkehrungen treffen, um die durch den Bau berührten alten Canäle, Drainagen, Wasserläufe, Telegraphen-Kabel, Wasser -und Gasröhren etc. in Wirksamkeit zu halten und wenn dieselben beschädigt, nach näherer Anweisung wieder herstellen, resp. für die hieraus entstehenden Kosten aufkommen." Allergrößten Wert legte das Kanalbau-Büro natürlich auf die exakte und glatte Ausführung des Mauerwerks, dessen Fugen keine Hohlräume aufweisen oder stärker als acht Millimeter sein durften. Nicht zuletzt um das Ausmaß der Verkehrsstörungen zu begrenzen, wurde der Übergabe des Bauwerks eine Frist gesetzt, jede Verzögerung mit einer Konventionalstrafe geahndet. Die Verfüllung der Baugrube konnte erst dann erfolgen, wenn sich der bauleitende Ingenieur als Vertreter der Bau-Deputation von der Güte der Kanalbauten überzeugt hatte.
Die Verwendung von Baustoffen höchster Qualität sicherte das Kanalbau-Büro, indem es ebenfalls auf dem Submissionsweg Dritte mit den Materiallieferungen beauftragte. Steingutröhren orderte das Büro anfangs direkt bei englischen Produzenten und in Bitterfeld, das ab 1863 neben dem rheinländischen Frechen zum zweiten Zentrum der deutschen Steinzeugröhrenindustrie aufstieg. Nach 1880 rückte Philipp Holzmann mit einem Anteil von rund 41 Prozent am gesamten Auftragsvolumen auch als Bezugsquelle von glasierten Steingutröhren in den Vordergrund. Glatte, hartgebrannte Backsteine mit hoher Druckfestigkeit bestellten die Frankfurter Baubehörden bevorzugt bei in Speyer ansässigen Ziegeleien. Zwei Lieferungen aus der ersten Hälfte der achtziger Jahre geben eine Vorstellung von den Dimensionen des Bedarfs: 1883 erwarb das Kanalbau-Büro bei den Firmen Georg Gund und Georg Michael Gund sechs Millionen Backsteine zum Preis von 208.000 Mark. Weitere sieben Millionen Backsteine wurden im Februar 1884 bei Georg Gund in Speyer bestellt. Zur Prävention von Unregelmäßigkeiten beim Bau der Kanäle kontrollierte das Büro jede Zementlieferung, blieb das Mischen des Mörtels oder das Wässern der Backsteine vor dem Vermauern ausschließlich städtischen Arbeitern vorbehalten. Der Magistrat war mit den Leistungen seiner Vertragspartner aufs Ganze gesehen sehr zufrieden. Der Stadt Meiningen, die sich vor einer Auftragsvergabe über die Reputation der Firma Franc erkundigte, teilten die Frankfurter Stadtväter am 8. März 1875 mit, daß Ingenieur Franc, "welcher dahier einen beträchtlichen Theil der neuen Schwemmkanäle nach den von dem städtischen Kanalbau-Büreau entworfenen Plänen als Unternehmer ausgeführt, auch im Auftrag von Privaten eine große Anzahl von Haus-Entwässerungsanlagen projektirt und fertiggestellt hat, uns als befähigter Ingenieur, sowie als leistungsfähiger und zuverlässiger Unternehmer bekannt ist."
Schmick und Kerner hielten unbeirrt an der 1865 entwickelten Idee einer Versorgung aus der Ferne fest. Nachdem die Annexion durch Preußen die Arbeit einer vom Senat am 20. März 1866 mit der Vorbereitung des Großprojekts beauftragten Kommission abrupt beendet hatte, wurde unter dem Eindruck der Querelen mit dem Volgerschen Wasserwerk das Vorhaben der Quellwasserleitung wieder aufgegriffen und im Juni 1869 von interessierten Bürgern ein "Comité zur Herstellung der Vogelsberger Quellwasserleitung" gegründet, dem neben den beiden Initiatoren Schmick und Kerner beispielsweise der Sohn Georg Varrentrapps, der spätere Stadtrat und Bürgermeister Adolf Varrentrapp, angehörte. Das Komitee unterbreitete dem Magistrat am 29. April 1870 die von Schmick konkretisierten und um die Quellen des Kassel- und Biebergrunds im Spessart erweiterten Baupläne. Zur Finanzierung der den Tagesbedarf von 100.000 Einwohnern deckenden Wasserleitung sollte sich der Magistrat entweder zum Ankauf der fertigen Anlage verpflichten oder an einer geplanten Aktiengesellschaft beteiligen. Wieder einmal war vom Ende aller Wassernöte die Rede: "Die Zahl der reichhaltigen Quellen ist so bedeutend, daß aus dieser Gegend für alle denkbaren Zeiten das Wasserbedürfniß Frankfurt's in reichlicher Weise gedeckt werden kann, ohne daß daraus für die betreffenden Thäler ein fühlbarer Nachtheil zu erwarten steht."
Die Stadt faßte am 10. Juni 1870 den Entschluß, sich zu einem Drittel an dem Aktienkapital von insgesamt dreieinhalb Millionen Gulden zu beteiligen und der Aktiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitung außerdem mit einer vierprozentigen Zinsgarantie unter die Arme zu greifen. Von nun an ging es Schlag auf Schlag: Das zur Aktiengesellschaft umgewandelte Komitee brachte am 1. Juli 1870 die Kaufverträge der Quellen unter Dach und Fach. Peter Schmick wurde verdientermaßen zum Oberingenieur berufen. Das Vertragsverhältnis mit der in Berlin ansässigen englischen Baufirma J. & A. Aird war nur von kurzer Dauer. Der Generalunternehmer überschritt bald nach Baubeginn den gesetzten Zeitplan und Kostenvoranschlag, so daß der Vertrag zum 1. Oktober 1871 gekündigt und der überwiegende Teil der Quellwasserleitung mithin in Regie der Gesellschaft ausgeführt wurde. Probleme beim Bodenerwerb für die Quellfassungen und Leitungen hatten die Abweichungen mitverschuldet.
Nach 1866 lagen die Quellen und Trassen der Frankfurter Wasserleitung zwar auf preußischem Territorium, doch herrschte in den annektierten Gebieten noch immer eine weitverbreitete Rechtsunsicherheit. Die Verstrickung der Stadt Frankfurt in zahlreiche Enteignungs- und Entschädigungsverfahren wurde von den Kritikern des Bauwerks weidlich ausgeschlachtet. Die Rollenverteilung in der Kontroverse um die Fernwasserleitung erinnert stark an den Streit um die Schwemmkanalisation. Friedrich Krepp eröffnete mit der Kritik an der Wasserleitung aus Vogelsberg und Spessart gewissermaßen einen Nebenkriegsschauplatz im Kampf gegen das neue Entwässerungssystem. Im neunten "Kanalisations-Flugblatt" bezeichnete Krepp den Frankfurter Wassermangel als hausgemacht und wies dem hohen Spülwasserbedarf eine Hauptschuld zu. Gegenüber den Monopolansprüchen der Aktiengesellschaft nahm Krepp seinen Mitstreiter Volger in Schutz und verlangte, daß vor Baubeginn der Wasserleitung der Prozeßausgang um das Wasserwerk am Riederspieß abzuwarten sei. Im Gegensatz zur Diskussion um die Schwemmkanäle fanden die vereinzelten Angriffe auf die Quellwasserleitung nur wenig Resonanz, sorgten Publikationen, wie die von Ernst Fischer veröffentlichten "Enthüllungen über die sogenannte Frankfurter Quellwasserleitung", für kaum mehr als etwas Sand im Getriebe.
Im Frühjahr 1871 hatte die Firma Aird mit der Realisation der Wasserleitung begonnen. Die Quellen des Vogelsbergs wurden bei Fischborn gefaßt, zu einem Reservoir auf dem Aspenhainer Kopf und von dort über einen auf der Abtshecke bei Langenselbold postierten Wasserturm an Hanau und Dörnigheim vorbei bis in den Hochbehälter an der Friedberger Landstraße geleitet. Da die Quellfassungen in mehr als 300 Metern über Normalnull lagen, erreichte das Quellwasser aus dem Vogelsberg aus eigener Kraft und ohne Einsatz von Pumpwerken über eine etwa 66 Kilometer lange Zuleitung Frankfurt. Das Vogelsberger Wasser füllte erstmals am 25. September 1873 den Hochbehälter an der Friedberger Warte, dessen "Gegenbehälter" sich am Hainer Weg befand. Die offizielle Inbetriebnahme der Vogelsbergleitung wurde am 22. November 1873 mit einer 35 Meter hohen Fontäne im Bethmannweiher gefeiert - ein Signal für das ersehnte Ende der Wassernot. Das von der Firma Philipp Holzmann im Auftrag der Aktiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitung seit März 1872 neu verlegte Stadtröhrennetz war zu diesem Zeitpunkt knapp 58 Kilometer lang und sollte sich bis 1897 vervierfachen. Komplizierte Enteignungsverfahren verzögerten die Zuleitung des Quellwassers aus dem Kassel- und Biebergrund des Spessarts in das Reservoir auf dem Aspenhainer Kopf bis zum 8. Dezember 1875. Ab diesem Datum strömten je nach Ergiebigkeit der Regenfälle täglich 11.000 bis 18.000 Kubikmeter Quellwasser aus Vogelsberg und Spessart gen Frankfurt und leisteten einen elementaren Beitrag zur öffentlichen Gesundheitspflege. Der Ärztliche Verein hatte schon im Februar 1866 den Gebrauch von Quellwasser anstelle des oftmals mit Schmutzstoffen belasteten Brunnen- oder gar Flußwassers anempfohlen.
Die Klagen über verdorbenes Brunnenwasser häuften sich. Die Frankfurter Zeitung" meldete beispielsweise am 27. Juli 1869: "Das Brunnenwasser ist zur Zeit in manchen Stadttheilen ganz ungenießbar, in der Soemmerringstraße ist dies jedoch wie man uns mittheilt in erhöhtem Maße der Fall. Daselbst ist das Wasser der Brunnen ganz dunkelblau, was die dortigen Bewohner einer daselbst befindlichen Farbefabrik zuschreiben."
Die Aktiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitung lieferte selbstverständlich nicht zum Nulltarif. Als Pendant zu den "Entwässerungs-Bedingungen" der Baudeputation verabschiedete die Gesellschaft 1871 unter dem Titel "Gebrauchs-Ordnung und Wassergeld-Tarif der Frankfurter Quellwasserleitung" ein entsprechendes Regelwerk. Hauseigentümer hatten demzufolge den Bezug des Quellwassers schriftlich zu beantragen und im Falle eines günstigen Bescheids für die Kosten der Leitung von der Grundstücksgrenze bis zum Straßenrohr aufzukommen. Beim Einbau der Hausleitungen waren Installateure an die Richtlinien der "Gebrauchs-Ordnung" gebunden, die hinsichtlich des Materials und der Weite der Röhren sowie der Verwendung von "Niederschraubhähnen oder Doppelsitz-Ventilhähnen" eines ganz bestimmten Querschnitts nichts dem Zufall überließen. Wasserklosetts und Pissoirs durften nur dann an die Privatleitung angeschlossen werden, wenn die für einen Spülvorgang verwendete Wassermenge reguliert und auf das unbedingt notwendige Maß begrenzt wurde. Klosetts mit permanenter Spülung waren nur bei einer anhand von Wassermessern kontrollierten Abnahme gestattet. Die Gesellschaft erhob die Gebühren entweder nach den abgelesenen Werten eines Wassermessers oder pauschal in Höhe von vier Prozent der Wohnungsmiete. Entschied sich der Abnehmer für die letztere Zahlungsweise berechnete ihm die Aktiengesellschaft einen jährlich zu entrichtenden Aufpreis für jedes Badezimmer (dreieinhalb Gulden), Wasserklosett und Pissoir (beide jeweils zweieinhalb Gulden). Während der von Wassermessern kontrollierte Bezug keinen Beschränkungen unterlag, warnte der Lieferant seine Kunden, die einen Pauschalpreis bezahlten, davor, das kostbare Gut zu vergeuden. Da niedrige Wasserpreise unmittelbar der Stadthygiene zugute kamen, hatte sich der Magistrat im Vertrag mit der Aktiengesellschaft ein Vetorecht bei geplanten Tariferhöhungen verbriefen lassen. Als die in Zahlungsschwierigkeiten geratene Gesellschaft 1874 die Anhebung der Wassergebühren beantragte, verweigerte der Magistrat prompt die Zustimmung.
Anfang 1875 sah die Gesellschaft keinen anderen Ausweg mehr, als in Liquidation zu gehen. Unter Hinweis auf die hohen Erschließungskosten der Spessartquellen, der nicht eingeplanten Vergleichszahlungen an die Firma Aird, die gestiegenen Materialpreise und Arbeitslöhne sowie das daraus erwachsene Defizit beantragte die Aktiengesellschaft Frankfurter Quellwasserleitung am 4. Februar 1875 die Übernahme der Anlage durch die Stadt. Mit Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung war am 5. Dezember 1876 die Überführung der Quellwasserleitung in öffentlichen Besitz rückwirkend zum 1. Mai 1876 perfekt; die Wasserpreise zogen nur leicht an. Der Magistrat hatte schon zum Jahresende 1874 die absehbare Kommunalisierung der Quellwasserleitung begrüßt, da somit "der ungestörte Ausbau des der Stadt schlechthin unentbehrlichen Wasserwerkes sichergestellt ist, auch zu verhoffen steht, daß mit dem Uebergang des Werkes in die Hände und den eigenen Betrieb der Stadt der, wenn auch nur mehr sporadisch, doch immer noch hie und da hervortretende Antagonismus gegen das segensvolle Unternehmen mehr und mehr verschwinden wird." Neben der Absicht, die Wasserversorgung der Stadt sicherzustellen und in eigener Regie fortzuführen, interessierten den Magistrat wohl nicht minder die zu erzielenden Einnahmen aus den Wassergeldern, die sich im Ordinarium des Haushaltsjahrs 1885/86 immerhin auf stolze 951.387 Mark addierten. Die in den Jahren 1878/79 ins Werk gesetzte Erweiterung der Hochbehälter an der Friedberger Landstraße und am Hainer Weg beendete den Bau der Quellwasserleitung, der inklusive des neuen Stadtröhrennetzes unterm Strich über elf Millionen Mark gekostet hatte.
Zur Bewältigung des erhöhten Betriebs- und Verwaltungsaufwands der Wasserversorgung gab der Magistrat im Einvernehmen mit der Stadtverordnetenversammlung zum 1. Juli 1880 die Gründung des städtischen Wasseramts bekannt. Das neue Amt bestand aus einem Magistratsangehörigen als Vorsitzendem sowie zwei weiteren Personen, darunter mindestens einem Stadtverordneten. An die Spitze des Verwaltungszweigs wurde als höchster technischer Beamter Carl Friedrich berufen.Die Zahl der an die Quellwasserleitung angeschlossenen bewohnten Grundstücke erhöhte sich von 2.705 im Jahr 1875 innerhalb von fünf Jahren auf 5.428. Gemessen an der Gesamtzahl bewohnter Grundstücke (6.225/7.677) entsprach dies einer Steigerung von 43,45 auf 70,70 Prozent. Der tägliche Pro-KopfVerbrauch blieb in dem Jahrzehnt von 1880 bis 1890 konstant und lag bei rund 125 Litern. In den folgenden fünf Jahren entstand ein gewaltiger Mehrbedarf. 1895/96 betrug der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Tag 160 Liter. Kam Frankfurt im Jahr 1880 noch mit schätzungsweise 6.200.000 Kubikmeter Wasser aus, so stieg der Konsum im Haushaltsjahr 1890/91 auf 8.231.000 und schnellte im Jahr 1895/96 auf 12.195.238 Kubikmeter empor.
Die Spirale des Wasserbedarfs drehte sich unaufhaltsam weiter. 1874, ein Jahr vor der endgültigen Erschließung der Spessartquellen, überstieg die Frankfurter Einwohnerzahl die Schallmauer von 100.000. Da die Kapazität der Quellwasserleitung 1870 auf eben diese Größenordnung ausgelegt worden war und die Bevölkerung Frankfurts in den Jahren bis 1880 von 103.136 auf 136.831 anwuchs, waren erneute Engpässe im Bereich der Wasserversorgung nur eine Frage der Zeit. Anfang der achtzigerjahre begegneten die Behörden dem beginnenden Wassermangel mit der Reaktivierung der Wasserleitung aus dem Knoblauchs- und Friedberger Feld, der Seehofquelle und des Brunnens am Riederspieß. Flankiert wurde der Rückgriff auf die alten Wasserwerke von einem Paket an Sparmaßnahmen. Gegenüber der Umgestaltung öffentlicher Lauf- in Ventilbrunnen oder der Abschaffung von Pissoirs mit permanentem Spülbetrieb, die eher "kosmetische" Eingriffe darstellten, bewährten sich die 1884 installierten "Districts-Wassermesser". Unter Zuhilfenahme von Wassermessern überprüften Mitarbeiter des Tiefbauamts die Verbrauchszahlen einzelner Wohnviertel. Stellten sich dabei ungewöhnlich hohe Werte heraus, begann die Fehlersuche. Bis 1888 ermittelte das Tiefbauamt auf diese Weise sage und schreibe 19.388 schadhafte Ventile und Spülapparate in Privathäusern sowie 36 Rohrbrüche und 481 Lecks im öffentlichen Leitungsnetz. Die nächsten Stationen im Wettlauf um die Wasserversorgung Frankfurts lauteten Grundwasser-Fassungsanlage "Forsthaus" und Flußwasserleitung, die beide 1885 in Betrieb gingen. Die Bemühungen blieben ein Kampf gegen Windmühlen. Als sich im Verlauf einer Hitzeperiode Anfang September 1886 die städtischen Wasserreservoirs bedenklich leerten, richtete der Magistrat eindringliche Sparappelle an die Bürgerschaft: "Da wir außer Stande sind, noch in diesem Jahre den Wasserzulauf zu verstärken, so würden wir bei Fortdauer der gegenwärtigen Verhältnisse zu unserem Bedauern zu einschränkenden Maßregeln genöthigt sein, wenn nicht durch die eigene Einsicht und Gewissenhaftigkeit unserer Mitbürger diesen Vergeudungen Einhalt gethan werden sollte." Dieser Aufruf hatte mit Varrentrapps Empfehlung aus dem Jahr 1868, Wasser, das Elixier der Städtereinigung, möglichst verschwenderisch einzusetzen, kaum noch etwas gemein. Die in Anbetracht des schon 1868 vorherrschenden chronischen Wassermangels gewagte These hatte ihren Ursprung im Prinzip der Schwemmkanalisation, die ohne entsprechende Abwassermengen versagte. Die Grundvoraussetzung eines Wasserverbrauchs auf hohem Niveau ist die Crux der englischen Abwasser-Technologie.
Als Faktotum der frühneuzeitlichen Stadthygiene waltete in Frankfurt am Main der Wasenmeister bis zur Eröffnung der Tierkörper-Verbrennungs-Anstalt im Jahr 1917. Die Nachbarschaft der Wasenmeisterei sah in der Institution traditionell einen Störfaktor. Der Bankier Simon Moritz von Bethmann beantragte am 24. Februar 1819 bei der Gesetzgebenden Versammlung die Verlegung der Wasenmeisterei aus der Schindergasse an der westlichen Peripherie noch vor die Tore der Stadt. Bethmann schlug als geeigneten Standort den Bau einer Hofreite bei den Äckern des Wasenmeisters Johann Michael Hoffmann auf dem "Galgen-Feld" im Westen der Stadt vor. Zur Begründung verwies der Banker, der selbst der Gesetzgebenden Versammlung angehörte, auf den eklatanten Verstoß gegen die Grundsätze der Gesundheitspolizei, in einem der dichtbevölkertsten Quartiere, "ein Thier Spital, und die Wagenburg der zur Abtritt-Reinigung erforderlichen Leitfäßer, in ein kaum 4 Fuß breites Gäßchen einzuperchen." Daß die Schindergasse nur einen Katzensprung von dem Anwesen der Bethmanns in der Buchgasse, Ecke Schüppengasse (heute: Bethmannstraße), entfernt zwischen Alter Mainzer und Münzgasse lag, dürfte ebenfalls nicht nach dem Geschmack des russischen Staatsrats gewesen sein. Bethmann mußte sich 12 Jahre gedulden, bis der Senat in dieser Angelegenheit eine Entscheidung traf Für den Antragsteller hatte sich das Warten nicht gelohnt, denn der Senat lehnte, zumal keine weiteren Klagen aus der Nachbarschaft vorlagen, am 12. April 1831 den Umzug der Wasenmeisterei aus finanziellen Gründen ab.
Während Hoffmann und nach ihm Wasenmeister Nikolaus Friedrich Heilbach in der Schindergasse weiterarbeiten konnten, befand sich die Einrichtung zur Beseitigung von Kadavern und zur Bekämpfung von Viehseuchen beim Tod des nächsten Abdeckers Heinrich Dörmer im April 1870 seit einigen Jahren (zumindest seit 1865) am Stadtrand in der Eschersheimer Landstraße 237. Der Sohn des Verstorbenen, Carl Dörmer, trat am 8. Oktober 1870 in die Fußstapfen seines Vaters und pachtete die städtische Wasenmeisterei für 300 Taler im Jahr. In einem über fünf Jahre mit der Frankfurter Polizei-Sektion vereinbarten Vertrag verpflichtete sich Dörmer, sämtliches in der Stadt und in der Gemarkung verendetes Vieh abzuholen und abzudecken. Forderte der Halter "Haut und Haare" des krepierten Tiers zurück, betrug das Honorar des Wasenmeisters für die erbrachte Dienstleistung bis zu fünf Gulden pro Stück, verzichtete der Besitzer auf die verwertbaren Überreste, hatte Dörmer keinen Anspruch auf ein Entgelt. Zu den Routineaufgaben des Wasenmeisters, die nicht extra entlohnt wurden, gehörte wie gehabt das Abdecken in den Straßen aufgefundener toter Kleintiere und das Erschlagen streunender Hunde. Den Besitzern herrenlos eingefangener Hunde oder erkrankten Viehs berechnete Dörmer als Betreiber eines provisorischen Tierheims und einer Beobachtungsstation Tagessätze von zehn bis zwanzig Kreuzern. Der Auftrag Dörmers wich 1870 nur in einem Punkt wesentlich von der Tätigkeit seiner frühneuzeitlichen Kollegen ab: Mit der Fäkalienentsorgung hatte der Wasenmeister nach der Vergabe der Kübelabfuhr an das "Kehrichtkonsortium" und dem Baubeginn der Schwemmkanalisation nichts mehr zu tun.
Blieben im 18. Jahrhundert die Wasenmeister auf Lebenszeit im Amt, so herrschte unter den Pächtern des 19. Jahrhunderts ein ständiges Kommen und Gehen. Louis Sölter übernahm schon am 13. Februar 1872 den Vertrag von Dörmer, geriet aber in Geldnot und wurde am 1. September 1879 von dem Fell- und Häutehändler Max Hirsch aus Groß-Gerau abgelöst. In die dreijährige Dienstzeit Hirschs fiel der Umzug der Wasenmeisterei von der Eschersheimer in die Friedberger Landstraße nahe der Warte. Unter der Bedingung, zum Schutz des Grundwassers den Fußboden der Beobachtungsställe und des Abdeckereiraums zu zementieren, genehmigte die königliche Regierung am 18. Mai 1881 die vom Stadtbauinspektor Johann Justus Gustav Rügemer entworfenen Baupläne sowie den Standort dicht an der Gemarkungsgrenze zu Preungesheim. Mit einem Abstand von über zwei Kilometern zum geschlossenen Wohngebiet am Stadtrand (Friedberger, Ecke Bornheimer Landstraße) entstanden Ställe für erkranktes Vieh und eingefangene Hunde, eine Abdeckerei mit zwei Kesseln zum Auskochen der Weichteile sowie ein acht Meter hoher Schornstein zur Verdünnung der Emissionen in der Atmosphäre. Bald nach Eröffnung der neuen Anlage wurde die Wasenmeisterei neben der Marktpolizei, der Verwaltung des Schlacht- und Viehhofs sowie der Vertretung der Frankfurter Handels- und Gewerbeinteressen dem Geschäftsbereich des zum 1. Januar 1883 eingerichteten Polizei- und Verkehrsamts der Stadt zugeordnet. Im Haushaltsjahr 1883/84 hatte der Frankfurter Wasenmeister 116 Pferdekadaver, sechs Ochsen, 31 Kälber, 71 Schweine, sieben Ziegen, ein Schaf, ein Lamm, 190 Eingeweide größerer Tiere, zwei Rehe, einen Korb konfiszierter Schellfische und 12 Hunde zu entsorgen. Zusätzlich wurden 181 Hunde eingefangen, wovon 67 getötet wurden. Der Nachfolger von Max Hirsch, der Enkheimer Schmoll, pachtete die städtische Liegenschaft im September 1882 für 1.500 Mark im Jahr, stolperte aber über den Anfang 1884 entdeckten Handel mit dem Fleisch erkrankter Tiere und wurde im Juni 1884 durch den Wasenmeister Sölter, ein Sohn Louis Sölters, ersetzt.
Die beim Zerlegen der Kadaver und Trocknen der Felle entweichenden Gerüche der Abdeckerei gerieten im Jahr 1890 erneut zum Streitobjekt. Der Direktor der 1888/89 eröffneten königlichen Strafanstalt in Preungesheim, Streitke, protestierte im August 1890 beim Frankfurter Magistrat gegen den bei südlichen Windrichtungen auftretenden unerträglichen Gestank: "Die entweichenden Dünste verbreiten einen im höchsten Grade widerlichen Geruch, erregen Uebelkeit und Erbrechen und machen nicht allein den Aufenthalt im Freien unmöglich, sie dringen selbst in die Wohnungen der Beamtenfamillen und in die inneren Räume der Strafanstalt und belästigen hier auf das Empfindlichste." Direktor Streitke untermauerte seinen Vorwurf mit einem Gutachten des Arztes und Bakteriologen Gustav Landmann, das die gesundheitsgefährdende Wirkung der verpesteten Luft attestierte. Neben dem Anstaltsleiter führte auch der Kaufmann Philipp Modrow, der den Leichtsinn begangen hatte, in der Nähe der Wasenmeisterei ein Gartenlokal zu eröffnen, gegen die Auswirkungen der Abdeckerei Beschwerde. Der Magistrat verteidigte in einer Stellungnahme gegenüber dem Polizeipräsidenten den vorbildlichen Betrieb der Wasenmeisterei, räumte gelegentliche Geruchsbelästigungen ein, bestritt aber jedwede Bedrohung der Gesundheit durch die Emissionen. Stadtarzt Alexander Spieß hatte den beim Auskochen der Kadaver auftretenden Fettgeruch als unangenehm, aber ungefährlich eingestuft. Wenngleich der Sicherheitsabstand von der Anlage zu den Wohngebieten am Stadtrand mittlerweile auf eineinhalb Kilometer geschrumpft war und sich dazwischen Gewerbebetriebe angesiedelt hatten, befand der Magistrat den Standort der Wasenmeisterei unverändert für ideal. Diese Ansicht teilte auch das Regierungspräsidium in Wiesbaden, das am 18. Dezember 1890 eine gegen die Abdeckerei gerichtete Petition Modrows abwies.
Die Umgebung der Wasenmeisterei mußte sich wohl oder übel für die nächsten drei Jahrzehnte mit den Ausdünstungen des Betriebs arrangieren. Weil das Stadtgebiet immer näher heranrückte, beschlossen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung im Oktober 1912, die Anlage in die Daimlerstraße am Osthafen zu verlegen und bei dieser Gelegenheit auf das moderne Verbrennungsverfahren umzustellen. Zu den Vorzügen einer Tierkörper-Verbrennungs-Anstalt bemerkte der Magistrat am 4. Juni 1912: "Die Konfiskate werden rasch, hygienisch einwandfrei und völlig geruchlos vernichtet; die Bedienung ist einfach, der Betrieb reinlich." Die Verwertung der Kadaver spielte wie bei der Abfallbeseitigung nur noch eine untergeordnete Rolle. Mit der Eröffnung der knapp 250.000 Mark teuren Tierkörper-Verbrennungs-Anstalt im Mai 1917 schloß die Wasenmeisterei an der Friedberger Warte ihre Pforten. Der Wasenmeister, eine 400 Jahre alte Institution auf dem Gebiet der Stadthygiene, hatte ausgedient.
...Die Frankfurter Schwemmkanalisation maß im Stichjahr 1897 über 200 Kilometer. In seinem ersten, im April 1869 vorgelegten Generalplan "Frankfurt on the Main. Sewerage Works" hatte William Lindley noch mit einer Gesamtlänge von 113 Kilometern gerechnet. Im Wettlauf mit der Stadterweiterung verdoppelte sich das Kanalnetz gegenüber der ursprünglichen Kalkulation bis zur Jahrhundertwende. Zur Ausdehnung und zusätzlichen Inanspruchnahme der Stadtentwässerung hatten die Eingemeindungen der Vororte Bornheim (1877) und Bockenheim (1895) sowie Seckbach, Nieder- und Oberrad (1900) nicht unwesentlich beigetragen. Abwasserfragen bildeten zwischen der Stadt und den Gemeindevertretern einen zentralen Verhandlungsgegenstand bei der Abfassung der Eingemeindungsverträge. Die Einwohnerzahl des dörflichen Bornheims hatte sich nach Einführung der Gewerbefreiheit sprunghaft von 4.775 im Jahr 1864 auf 10.085 im Jahr 1875 erhöht. Der ungebremste Anstieg vor allem der ärmeren Bevölkerungsschichten drohte die lokalen Behörden und die Finanzkraft des Ortes in absehbarer Zeit zu überfordern. Der Anschluß an die moderne Infrastruktur der benachbarten Großstadt bot auch in Bezug auf die Armenfürsorge einen Ausweg. Der Verkauf der Bornheimer Heide, eines direkt an der Gemarkungsgrenze gelegenen gemeindeeigenen Areals, an die Terraingesellschaft Oppenheimer & Weil im Jahr 1872 lieferte dem Frankfurter Magistrat den äußeren Anlaß, die Eingemeindung anzustreben. Bornheim hatte der Grundstücksfirma das Gelände nur unter der Bedingung veräußert, daß mit der Stadt Frankfurt eine Vereinbarung über die Entwässerung des geplanten Wohnviertels in die Schwemmkanalisation getroffen würde. Nach anfänglichem Zögern gestattete Frankfurt, obwohl man die von Oppenheimer & Weil geplante Errichtung enger Mietskasernen ablehnte, die Entsorgung der Bornheimer Heide über das städtische Kanalsystem. Mitspracherechte an der Bodennutzung und der Straßenführung in dem die künftige Stadterweiterung tangierenden Siedlungsgebiet konnte der große Nachbar nur über die Eingemeindung Bornheims und die anschließende Anwendung der Frankfurter Bauordnung erwerben. Die Unterzeichnung des Eingemeindungsvertrags am 20. Oktober 1876 erfolgte somit im beiderseitigen Interesse: Bornheim wollte den kommunalen Kollaps abwenden, Frankfurt der Stadterweiterung alle Optionen offenhalten.
Die Eingemeindung Bockenheims beendete 1895 einen jahrzehntelangen Streit zwischen Frankfurt und der Nachbarstadt um einen offenen, die Salubrität des westlichen Villenviertels beeinträchtigenden Abwassergraben entlang der Gemarkungsgrenze. Neben der Lösung des Abwasserproblems lagen die Interessen Frankfurts vor dem Hintergrund einer unaufhaltsamen Annäherung der Siedlungsflächen primär im Bereich der Stadterweiterung und der Baupolizei. Die Kleinstadt Bockenheim zählte 1891 über dreißig Industriebetriebe mit circa 2.500 Arbeitsplätzen. Der Industrialisierungsschub anfangs der siebzigerjahre hatte die Einwohnerzahl Bockenheims von 8.476 (1871) auf 13.083 (1875) emporschnellen und bis 1890 auf 18.675 Personen weiter anwachsen lassen. Zu den eingangs der neunziger Jahre dringend erforderlichen Investitionen in die Anlage einer Schwemmkanalisation, den Ausbau der Wasserleitung, die Errichtung eines Schlachthofs und einer Markthalle sowie die Erschließung neuer Wohn- und Industriegebiete sah sich die Kleinstadt außerstande. Die Zeichen der Zeit deuteten auf eine baldige Eingemeindung nach Frankfurt hin. Während in Bockenheim der Anschluß an die Großstadt allgemein herbeigesehnt wurde, Hausbesitzer spekulierten beispielsweise auf eine Steigerung der Grundrenten, sperrte sich die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung gegen das Vorhaben, das den städtischen Etat mit erheblichen Folgekosten und das bürgerliche Gesellschaftsgefüge mit einem Anstieg der Arbeiterbevölkerung strapazierte. Die Stadtverordneten beugten sich nur widerwillig Oberbürgermeister Adickes, der energisch für das Projekt der Stadterweiterung eintrat...