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Aus: Frankfurter Rundschau vom 09.11.2006

Armut wird im Nordend spürbar

von GESA GOTTSCHALK

Sozialbezirksvorsteherin Ilka Werner sieht wachsende Problemen bei Rentnern und arbeitslosen Selbstständigen Wie viele Menschen im Nordend in Armut leben, möchten die Grünen im Ortsbeirat 3 vom Magistrat erfahren. Mit seinem Antrag für die heutige Sitzung des Gremiums will Fraktionsvorsitzender Bernhard Maier auch die Frage klären, ob ein Projekt „Soziale Stadt" für das Nordend nötig ist.

NORDEND • Wer ans Nordend denkt, hat quirlige Kneipenstraßen vor Augen, gutverdienende Akademiker am Stand des Bio-Bauern und kleine, feine Geschäfte. Armut scheint in diesem Stadtteil kein Thema zu sein. „Es wirkt so, als wären da nur Yuppies, die fröhlich in den Weinlokalen sitzen`; sagt die Grüne Ilka Werner, „aber es gibt keineswegs nur das glückliche Nordend." Als Sozialbezirksvorsteherin sieht Werner andere Gesichter im Stadtteil. Einsame Alte. Jugendliche ohne Lehrstelle. Und einen Mittelstand, der den Absturz nicht verkraftet. Die Probleme sind dabei ungleich verteilt. „Zwischen dem Holzhausenviertel und der Burgsiedlung besteht ein himmelweiter Unterschied", sagt Werner. Das Nordend-West, zu dem auch ihr Sozialbezirk 130 rund um den Merianplatz gehört, blühe, trage sich selbst und werde sich auch in Zukunft selbst tragen. Im Nordend-Ost dagegen sei das Leben härter geworden.
In den Arbeitslosenstatistiken steht das Nordend vergleichsweise gut da. Im Westteil waren laut Bürgeramt für Statistik und Wahlen im März dieses Jahres 5,2 Prozent der erwerbsfähigen Bewohner arbeitslos, im Ostteil 7,6 Prozent. Beide Werte liegen unter dem Frankfurter Durchschnitt von 8,9 Prozent. Doch Arbeit schütze nicht vor Armut, sagt Werner. Wer als Altenpflegerin oder Verkäuferin arbeite, könne vom Lohn oft nicht leben. Ältere Bürger, von denen im Nordend mehr als irgendwo sonst in Frankfurt leben, rutschten in die Sozialhilfe. „Vor ein paar Jahren waren 2000 Mark im Monat eine gute Rente"; sagt Werner, „heute gehen von den 1000 Euro allein 500 für die Miete weg."
Evelyne Becker von der Wohnungslosenhilfe der Caritas bestätigt diese Beobachtungen. In das Caritas-Büro in der Allerheiligenstraße kommen auch Menschen aus dem Nordend, zudem betreuen mobile Teams die untere Berger Straße und den Bethmannpark. Auch bei ihnen suchen immer häufiger Rentner Rat, die bei gleich bleibenden Bezügen mit steigenden Lebenshaltungskosten fertig werden müssen. Hartz IV habe die Situation verschärft. Arbeitslose seien gezwungen, Geld auszugeben, das sie für die Altersvorsorge angespart hätten. Becker berichtet von einer 61-Jährigen, die von Arbeitslosengeld II lebt und kürzlich wegen eines kaputten Herdes in die Beratung der Caritas kam. „Sie hatte sämtliche Rücklagen aufgebraucht", sagt Becker, „und wusste nicht, wovon sie einen neuen Herd kaufen sollte." Auch im Bethmannpark beobachten die Mitarbeiter der Caritas neue Entwicklung. „40- bis 60-Jährige Arbeitslose und Rentner treffen sich dort", sagt Becker.
Andere dagegen fallen im Nordend nicht weiter auf. Trotzdem gehören auch sie zu Werners Kunden: arbeitslose Selbstständige wie Architekten oder Anwälte. „Das sieht man denen nicht an", sagt die Grüne. Sie wahrten den äußeren Schein, hätten noch ein Business-Kostüm aus besseren Tagen, behielten die große Wohnung. Doch die Miete könnten sie nicht mehr zahlen. Konkrete Zahlen zur Armut im Nordend fände Ilka Werner „fantastisch".
GESA GOTTSCHALK

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