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Aus : „Aus Trümmern zu einem europäischen Zentrum“ von Frolinde Balser, 1995

Frankfurt am Main bei Kriegsende

... Die in der gesamten Besatzungszone praktizierte Politik der Amerikaner beruhte auf weitgehend unbegründeten Befürchtungen. Non-Fraternization, d.h. keinerlei Verbrüderung, war eine Folge, die sich aber bald relativierte. Die deutsche Bevölkerung dachte nicht an Widerstand oder Wiederbelebung nationalsozialistischer Bestrebungen. In einer so zerstörten Stadt wie Frankfurt am Main war sie zudem mit ganz anderen Sorgen beschäftigt. Da war das Problem, ausreichend Lebensmittel zu beschaffen, oder auch - amerikanische - Zigaretten; das nachmalig so benannte „deutsche Fräuleinwunder“, wie auch echtes Interesse an amerikanischen Auffassungen oder an der Begegnung mit Amerikanern trugen das ihre dazu bei, die gegenseitigen Beziehungen sehr bald enger zu knüpfen. Außerdem bot die Besatzungsmacht Arbeitsplätze, die schon bald sehr gesucht waren, nicht zuletzt wegen der Lebensmittel und Zigaretten, die dort abfallen konnten. Viele, wenn sie nur ein bißchen Englisch konnten, bemühten sich um die unterschiedlichsten Tätigkeiten.

Die Einstellung gegenüber den Amerikanern blieb gleichwohl ambivalent. Da war die Erinnerung an den Luftkrieg, die Trümmer waren ja nicht zu übersehen, da waren Vorbehalte gegenüber den Siegern, das Bewußtsein des verlorenen und sinnlosen Krieges, der verlorenen Lebensjahre, die unwiederbringlichen Verluste an geliebten Menschen. Dies alles ergab eine diffuse Mischung psychologisch bedingter Voreingenommenheit, zu der dann sehr reale Erfahrungen kamen. Die amerikanische Besatzungsmacht wandte ein Verfahren an, das europäischen (Kriegs-) Gepflogenheiten so gar nicht entsprach. Die Amerikaner beschlagnahmten statt Einquartierungen vorzunehmen Häuser und ganze Stadtbezirke, die die Bewohner zu verlassen hatten. In Goethes Stadt erinnerte man sich schließlich zumindest an die Schilderungen in »Dichtung und Wahrheit« über die Einquartierung der Franzosen in Goethes Elternhaus im Großen Hirschgraben. 1945 war das ganz anders. So wird in einem Brief vom 15. April 1945 beschrieben „Draußen auf der sonst ruhigen Straße herrscht heute trotz des Sonntags reges Leben. Die IG-Siedlung muß für die Amerikaner geräumt werden, und die Menschen bringen ihr Hab und Gut auf Handkarren, Leiterwagen und Kinderwagen zu ihren neuen Notunterkünften. Für diejenigen, die es betrifft, eine bittere Angelegenheit.“ Und am 1. Mai 1945: »Das äußere Bild in Frankfurt hat sich insofern verändert, als die Amerikaner ganze Stadtbezirke beschlagnahmt und durch Stacheldraht abgezäunt haben. Leider ist dieser Aktion auch die Wohnung der Tanten zum Opfer gefallen. Es war ein Bild des Jammers, als sie und viele andere innerhalb weniger Stunden ihr Heim verlassen mußten. Möbel, Teppiche, Betten, Küchengeräte etc. mußten zurückgelassen werden, nur die persönliche Wäsche, Federbetten und Kleinkram durften sie mitnehmen.« Dies alles geschah trotz der immensen Verluste an Wohnraum, von dem auch die Briefschreiberin betroffen worden war: »... ob Ihr wißt, daß sowohl Erna als auch ich (und damit die Eltern) unser Heim verloren haben. Von allem, was wir hatten, ist bei Erna fast nichts, bei den Eltern und mir überhaupt nichts geblieben.« Vielen Frankfurtern ist es so ergangen.

Zu den Luftkriegszerstörungen kamen nun noch die Beschlagnahmungen. In der nüchternen Verwaltungssprache zeigt sich das Ergebnis. Am 16. April 1945 meldete das Bauamt: Seit der Besetzung Frankfurts (29. März 1945) wurden von der amerikanischen Militärkommission »die nachfolgenden Häuser bzw. Siedlungen geräumt. Die geräumten Wohnungen wurden teilweise von dem amerikanischen Militär und teilweise von Ausländern in Anspruch genommen.« Die Häuser werden dann einzeln benannt, es sind insgesamt 1115 Häuser mit 3654 Familien. Die Beschlagnahmungen gehen weiter, so wird die ganze Heimatsiedlung, die Festeburg-Siedlung, große Teile der Hansaallee, Holzhausenstraße, Ecke Erauenlobstraße, Leonhardsbrunn beschlagnahmt und das Gebiet rund um das IG-Hochhaus abgesperrt. »0ff limits« wurde ein vielgebrauchtes Schild, mit dem der Zutritt verwehrt wurde. Häuser in der Römerstadt, an der Bonameser Kaserne, in Praunheim, in Höchst und vor allem in der Siedlung Sindlingen mußten geräumt werden. In Sindlingen entstand ein Lager für Verschleppte Personen (»DP’s« = Displaced Persons). Bis 2. Februar 1946, so stellte das Statistische Amt der Stadt zusammen, sind insgesamt 3675 Häuser mit 9181 Wohnungen für 36668 Personen beschlagnahmt worden. Die Personenzahl war dabei geschätzt, wahrscheinlich zu hoch, mit vier Personen je Wohnung. Auch wird vermerkt, daß in einige Häuser die Mieter hätten wieder einziehen können. Insgesamt ergab sich jedoch eine große Belastung für die Frankfurter Bevölkerung. Der Frankfurter Oberbürgermeister sah sich im Mai 1946 veranlaßt, in einem Bericht an das »Großhessische Staatsministerium« in Wiesbaden auf die desolate Lage der Frankfurter Wohnungssituation hinzuweisen: In Frankfurt sei derzeit »nur noch für ein Fünftel der friedensmäßigen Bevölkerung einigermaßen genügend Wohnraum vorhanden, vier Fünftel, d.h. über 400000 Einwohner, sind nicht im Besitz einer normalen Wohnung, teilen vielmehr die ihre mit anderen Familien, sind in der Regel aber in teils mehr, teils weniger stark zerstörten Wohnungen und vorläufig in Evakuierungsorten untergebracht.«

Die Stacheldrahtzäune um das IG-Hochhaus erforderten weite Umwege, wo doch allein das Einkaufen unendlich viel Zeit verschlang. Emilie Braach berichtet am 2. Mai 1945: »Durch das Absperren der amerikanischen Zone können wir nicht mehr durch die Eschersheimer Landstraße in die Stadt pilgern, sondern müssen den großen Umweg entweder über Bockenheim oder Eckenheimer Landstraße machen. Bei meiner augenblicklichen schlechten Gehfähigkeit ist das eine Marter sondergleichen.«. Und weiter. »Die verschiedenen Maßnahmen durch die Amerikaner drücken uns sonst nicht. Gegen das, was wir all die Jahre hindurch gelitten haben, sind das Kleinigkeiten. Und es ist gut, daß jetzt unter den Parteigenossen groß aufgeräumt wird.«

Die Überlegungen der vormals Verfolgten gehen auch weiter. Wie viele andere aus dieser Minderheit der Bevölkerung denkt Emilie Braach an die Aufgaben der Zukunft: »Ich werde jetzt oft gefragt, ob ich nicht aus Deutschland weg möchte, und ich habe mir die Frage auch schon selbst gestellt. Dabei bin ich zu der Erkenntnis gekommen, daß ich hier doch sehr verwurzelt bin und beim Wiederaufbau dabei sein möchte. Das heißt keineswegs, daß mein Haß gegen die, die verantwortlich waren, milder geworden ist. Im Gegenteil, ich möchte sogar helfen, die Verbrecher an den Galgen zu bringen. Auf der anderen Seite aber will ich als kleines Rädchen zur Gesundung beitragen und durch meine Haltung immer wieder beweisen, wie sinnlos es ist, die Menschen nach Rasse und nicht nach ihren Qualitäten einzuteilen. Bin ich ein Phantast?«...

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