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Aus: Frankfurter Rundschau vom 31.08.2007

Unter dem Pflaster liegt der Strand - Eine kleine Kulturgeschichte des Rotlintstraßenfestes aus gegebenem Anlass
Joschka Fischer zapft nicht mehr

Von Anita Strecker

Professionalisierung in der Rotlintstraße

Liebe Anwohner der Rotlintstraße und Umgebung. Am Samstag, den 31.8.85 wollen wir in der Rotlintstraße (im Abschnitt zwischen Vogelsbergstr. und Egenolffstr.) ein Straßenfest feiern." Handgetippt mit Schreibmaschine werden Apfelwein und Waffeln und Informationen zu Problemen und Aktivitäten im Nordend annonciert. Und wer „selber was beisteuern" will, solle sich doch an die Stadtteilgruppe der Grünen im Nordend „weden". Das vergessene „n" ist handschriftlich obendrüber korrigiert. Jörg Harraschain, Nordend-Grüner, Ortsbeiratsmitglied und langjähriger Rotlintstraßenfest-Organisator lacht laut los, als er die ersten Ankündigungsplakate des ältesten Stadtteilfests im Nordend durchblättert. Zur 24. Auflage jetzt am Samstag, 14 Uhr, sind die Plakate computergestaltet und in zigfacher Auflage unters Volk gebracht.
Statt ein paar hundert Nordendlern und alternativen BI-Aktivisten, werden 4000 Besucher aus der ganzen Stadt und aller Parteicouleur erwartet. Statt einer Handvoll Ständen von Aktionsgruppen aus dem Quartier wie ehedem sind von Greenpeace bis zu „Mieter helfen Mietern" 90 Info- und Imbiss-Stände mit internationaler Küche angemeldet, die sich mit Flohmarkt-Verkäufern auch längst nicht mehr mit den wenigen Metern zwischen Vogelsberg- und Egenolffstraße bescheiden, sondern die ganze „Rotlint" bis zum Friedberger Platz bevölkern. Auch Ripperger, der singende Apotheker aus der Nordendstraße, wird nicht mehr Playback mit Sinatra-Songs Las Vegas-Glamour ins Nordend bringen, und Harry H. von nebenan kein Feuer mehr schlucken. Der Charme des Handgemachten ist passe. Das Bühnenprogramm wird von Kulturmanagerin Daniela Cappelluti und den Profis von Anlo-Bühnentechnik fix und fertig auf die Beine gestellt. Die Stadtteil-Grünen müssen auch keine Apfelweinkästen schleppen und kein Bier mehr zapfen wie weiland Joschka Fischer. Die Getränkestände bewirtschaftet Matsch und Brei.
Wenn Feste erwachsen werden, heißt das Professionalisierung: Die Grünen vor 24 Jahren haben das noch nicht gewusst. Ursprünglich hatten sie nur die Idee, sich vorzustellen, und mit Bürgern und Initiativen im Nordend zusammenzukommen. Die zwei Kinderläden in der Straße besserten mit Kaffee und Kuchen-Verkauf ihre Kasse auf. Die Gruppe der Wehrdienstverweigerer verteilte Info-Blätter, der ADFC war dabei, die deutsch-chinesische Gesellschaft kochte chinesische Suppe und die Nordendler saßen bei Bier und Apfelwein zusammen.

Manchmal stand das Fest auf der Kippe, wenn wieder mal nicht genug mitzogen

Die Illusion, Anwohner würden sich scharenweise an der Organisation und Abwicklung beteiligen, haben sich Jörg Harraschain und seine Mitstreiter früh abgeschminkt. „Das blieb an uns hängen, 40 Leute mussten immer zur Stelle sein, und manchmal stand das ganze Fest auf der Kippe, wenn wieder mal nicht genug mitzogen." Zettel verteilen, Biertische organisieren, Klinken putzen bei Geschäftsleuten, um Preise für die Benefiz-Tombola einzutreiben. Getränke einkaufen und im Thekendienst ausschenken, schlaflose Nächte überstehen, „weil man immer glaubt, man hat was Wichtiges vergessen". Ist natürlich auch passiert. Einmal gab's keinen Apfelwein. Ja und dann, zum guten Schluss, galt es nächtens nach dem Fest die Straße zu kehren. „Die sollte nach dem Fest immer sauberer sein als vorher. Das war unser Ehrgeiz."
Das Bühnenprogramm hat Harraschain gleichfalls in Selfmade-Manier zusammengestellt: „bei anderen Festen Künstler angesprochen oder Straßenmusikanten auf der Zeil". Eine russische etwa. „Seid Ihr morgen noch da?" Alles klar. Bisweilen griff er auch selbst zur Klampfe und gab die lispelnde Nana Mouskouri. Und er bastelte sogar das Glücksrad für die Tombola mit eigenen Händen. 2003 gab es den Geist auf - und der heute 65-Jährige die Festorganisation an Bastian Bergerhoff ab.
Der managt die professionalisierte Festorganisation mit einer Handvoll Menschen,,,nur zum Aufstellen der Straßensperren brauchen wir etwa 20 Leute". In einem hat sich das Rotlintstraßenfest im Gegensatz zu manch anderem Großevent wie in der Schweizer oder auf der Berger Straße in 24 Jahren nicht verändert, sagen Harraschain und Bergerhoff unisono. Und beide sind darauf stolz: „Die Kommerzialisierung haben wir rausgehalten,wer nur Reibach machen will, braucht gar nicht erst zu kommen." So seien die Preise moderat geblieben „und harte Sachen gibt es gar nicht". Dafür grüne Polit-Promis. Auch das ist in 24 Jahren geblieben - und alle waren sie schon da: Joschka Fischer, Fritz Kuhn, natürlich Dani Cohn-Bendit und alle bekannten hessischen Grünen-Vertreter. Inzwischen kommen auch Vertreter aller anderen Parteien. Zum Beispiel Noch-Wissenschaftsminister Udo Corts. Zum Zehnjährigen hatte er Angela Merkel mitgebracht. Am Ende war es nur Travestiestar Bäppi La Belle. Egal, im Nordend wird mit jedem gefeiert - auch das ist bis heute Spezifikum geblieben. Nur das Ende ist anders: Da kommt die Kehrmaschine der FES.



Aus: Frankfurter Rundschau vom 03.09.2007

Es war einmal und ist immer noch

Von Katrin Mathias

Das Rotlintstraßenfest hat sich viel vom alten Sponti-Charme bewahrt

"Oh Jesses, die Vollbärte", „da gabs noch den Kiosk"... Das Bild zeigt die Bewohner in Schwarz-Weiß. Familien im Schneidersitz, die wallende Haarpracht der Männer: das Nordend im 80er-Jahre-Look. Das Foto aus der FR vom Vortag bringt die Betrachter am Samstag zum Lachen. Und es lässt Blicke in die von den Häuserfassaden begrenzte Ferne schweifen.
Dass das Rotlintstraßenfest eines mit Geschichte ist, dürfte kaum einer so gut wissen, wie Jörg Harraschain. Er schiebt den grünsilbrigen Tombola-Hauptgewinn durch das Gästevolk. Der ehemalige Ortsvorsteher des Quartiers macht Pause im Job als Los-Verkäufer per Zweirad und deutet auf das Eckhaus an der Rotlintstraße 58.
Am Fenster des dortigen Stadtteilbüros der Grünen sei die Idee geboren worden, „man könnte hier ja mal ein Fest organisieren", so der bescheidene Gedanke vor mehr als 20 Jahren. Begrenzt auf die wenigen Meter zwischen zwei Hausnummern sei die Feier-Zone damals gewesen. Inzwischen zieht sich die Kette der Fest-Stände bis beinahe runter zum Friedberger Platz: Ein paar tausend Besucher, etwa 100 Stände, dazu die hochragende Kletterwand der Naturfreunde Groß-Gerau und das Mini-Kettenkarussell auf der Kreuzung zur Vogelsbergstraße - so lauten die Eckdaten im Jahr 2007.
Trotz räumlicher Ausdehnung wollen die Veranstalter von Massen auch heute nichts wissen. „Es ist ein ,Hobby-Fest' geblieben", sagt Festorganisator Bastian Bergerhoff. Die Bühne bezieht „gespendeten" Strom aus dem Nachbarhaus. Der Fest-Kaffee fließt durch Maschinen aus dem Privathaushalt. Der süße Teig aus der Tupperware-Box wird auf mitgebrachten Waffeleisen verteilt.
Auf einer bunten Fleecedecke liegen Flohmarkt-Auslagen: Ein Buch mit dem Titel „Ich war der Kaiser von China", eine Herde von Stofftieren auf zwei blauen Mini-Klappstühlen, eine Plastiktüte mit wiederaufgerollten Wollresten will die Dame mit der silbernen Dauerwelle unter die Leute bringen. Die Bestände stammen von Enkeln, vom Dachboden und aus dem Keller. Was sich das Jahr über so angesammelt hat, haben zwei Frauen zum oberen Ende der Festmeile geschleppt. „Das machen wir seit zehn Jahren."
Das gefällt den Organisatoren beinahe so gut, wie „die Präsenz der Initiativen". Jörg Dürrfeld vom Greenpeace-Stand etwa hat schon am Nachmittag einen Stapel mit „Kaufabsichtserklärungen" vor sich liegen. Unterzeichnet haben Festbesucher, die von der Industrie die Herstellung schadstoffarmer Autos fordern.
Und nach den Faltblättern aus dem Plastikkasten der „Fundament Bauen Wohnen Leben"-Genossenschaft greifen die Nordendler im Sekundentakt. „Ziemlich viele" der Besucher interessieren sich für die Projekte der Initiative für gemeinschaftliche Wohnprojekte, sagt Stand-Betreuerin Patrizia Bruni. „Damit haben wir offenbar einen Nerv getroffen."

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